Tempelhofer Feld | Berlin

Titelbild des Steckbriefs für Tempelhofer Feld | Berlin
Sonntags auf dem ‚Feld‘ – gestern wie heute. Die Stadtbevölkerung zog es in ihrer Freizeit schon immer auf die Freifläche.
„Sonntagnachmittag auf dem Tempelhofer Felde“ Holzstich nach Zeichnung von Georg Koch. Quelle: Illustrierte Zeitung: Leipzig, Berlin, Wien, Budapest, New York, Band 93, 21. September 1889, S. 295.

Ort der Diktatur, Ort der Freiheit – der Mythos Tempelhof

Wer baute hier?

Niemand, deshalb ist der Ort mitten in der Stadt so besonders.

Wie wurde der Ort genutzt?

Als Naherholungsgebiet, vom Militär, für die Luftfahrt, von den Nazis und von den Alliierten– auf dem ‚Feld‘ kommt die ganze Stadtgeschichte zum Tragen.

Wer besucht den Ort heute?

Alle, auch das macht das ‚Feld‘ so besonders. Es ist als Park für die ganze Stadtgesellschaft zugänglich.

Der Flughafen Tempelhof und das Luftbrückendenkmal stehen für die schmerzhafte Erinnerung an die Teilung der Stadt und für die Erzählung einer heroischen Selbstbehauptung Westberlins als Frontstadt im Kalten Krieg unter dem Schutz der USA. Authentisiert wird der Ort daher retrospektiv als Symbol der Freiheit. Vor diesem Mythos gerät seine doppelte Geschichte in den Hintergrund: Dass die Nazis den Flughafen als Propaganda-Coup ausbauten, dass in dessen Hallen NS-Zwangsarbeiter:innen ausgebeutet wurden und dass die SS auf dem ‚Feld‘ zeitweise ein KZ betrieb, ist in der Erinnerung wenig präsent. Doch auch die vielen, die Geschichte des Tempelhofer Felds prägenden Superlative – der größte europäische Flughafen der 1920er Jahre, das größte Haus der Welt in den 1930er Jahren, die weltweit größte innerstädtische Freifläche heute – sind Strategien der Authentisierung in der Vermarktung.

„Immer höher muss ich steigen, Immer weiter muss ich schauen!“1)

<p>„Immer höher muss ich steigen, Immer weiter muss ich schauen!“<sup>1)</sup></p>
Ballon-Wettfliegen anlässlich des deutschen Rundfluges auf dem Tempelhofer Feld bei Berlin, 1925.
Foto: BArch, Bild 102-01500 / Pahl, Georg

Das Tempelhofer Feld ist ein Ort der Luftfahrtgeschichte. Bereits im 19. Jahrhundert konnten Schaulustige hier die ersten Ballonfahrten und Höhenrekorde beobachten. Eigentümer der großen Freifläche war das preußische Militär, das es nicht nur der kriegswirtschaftlich lukrativen Luftfahrtentwicklung zur Verfügung stellte, sondern auch als Exerzier- und Paradeplatz nutzte. In der Zeit der Weimarer Republik begann der reguläre Flugbetrieb.


Freiraum

<p>Freiraum</p>
Luftbild vom Tempelhofer Feld, 1914.
Foto: Fotograf unbekannt URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tempelhof_Tempelhofer_Feld_1914.jpg Lizenz: public domain

Ob als Ausflugsziel für sonntägliche Picknicks, als provisorisches Stadion des ersten Berliner Fußballvereins oder als Ort für politische Kundgebungen – das ‚Feld‘ bot einen in der wachsenden Metropole ungewöhnlich großen Frei- und Experimentierraum. Die multifunktionale Leerstelle am Rande der gedrängten Urbanität wird seit jeher von der Stadtbevölkerung für ihre Freizeitgestaltung genutzt.


„Luftkreuz Europa“

<p>„Luftkreuz Europa“</p>
Zentralflughafen, Fliegerfoto aus etwa 450 m Höhe, 1930.
Foto: BArch Bild 146-2008-0009 / Klinke & Co.

Der Zentralflughafen Berlin, Heimatflughafen der deutschen Lufthansa, wurde 1929 fertiggestellt. Innovativ und modern, mit Gebäuden im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen, war er eine infrastrukturelle Vision: Er besaß ein eigenes Flughafenrestaurant und Hotel und war sogar an das U-Bahn-Netz angebunden (heute: U-Paradestraße). Gemessen am Passagieraufkommen war er der größte Flughafen Europas. Erinnert wird diese Episode des ‚Felds‘ aber kaum.


Leerstelle

<p>Leerstelle</p>
Nationalsozialistische Kundgebung zum Tag der Arbeit, 1933.
Foto: BArch, Bild 102-02370 / Pahl, Georg

Die Nazis nutzten die leere Fläche für ihre Zwecke, so beispielsweise für die propagandistische Großveranstaltung am 1. Mai 1933. Auch NS-Terror spielte sich hier ab. Am Rande des Feldes betrieb die SS zunächst ein Gestapo-Gefängnis, das 1935 in das einzige selbstständige Konzentrationslager in Berlin umgewandelt wurde: das KZ Columbia Haus. 1936 wurden die Häftlinge für den Bau des KZ-Sachsenhausen herangezogen und schließlich dorthin verlegt.


Große Pläne

<p>Große Pläne</p>
Skizze des neuen Flughafens, Ernst Sagebiel, Lageplan 1:4000, 1935.
Quelle: Architekturmuseum, Inventarnr.: 42544.

Das KZ wich dem großangelegten Ausbau des Flughafens in seiner heutigen, monumentalen Gestalt. Er umfasste fast doppelt so viel Fläche wie der Alte Hafen und war das zu diesem Zeitpunkt größte Gebäude der Welt. Die neue Anlage entsprach modernsten Standards und der Bau war ein Prestigeprojekt für die nationalsozialistische Hauptstadt. Dennoch wird das Gelände heute nicht in erster Linie mit der NS-Zeit assoziiert.


Zwangsarbeit

<p>Zwangsarbeit</p>
Zwangsarbeiter:innenlager auf dem Feld, Januar 1944, Ausschnitt einer Gedenktafel am Columbiadamm 92.
Foto: User OTFW URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gedenktafel_Columbiadamm_92_(Temph)_Zwangsarbeiterlager_(cropped_3).jpg?uselang=de Lizenz: CC BY-SA 2.0

Während der Kriegsjahre wurde der Bau unterbrochen und die Gebäude dienten der Luftwaffe als Fliegerhorst. Die leeren Hallen wurden für die Rüstungsproduktion umfunktioniert, in denen hauptsächlich Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangene aus dem Osten Europas arbeiten mussten. Sie wohnten in bewachten Barackenlagern, die eilig auf dem Tempelhofer Feld errichtet wurden.


Rosinenbomber

<p>Rosinenbomber</p>
Entladung der an der Luftbrücke beteiligten amerikanischer Flugzeuge auf dem Flugplatz Temperlhof 1948.
Foto: BArch, Bild 183-V06579 / ohne Angabe

In der kollektiven Erinnerung ist der Flughafen Tempelhof als Schauplatz der Luftbrücke 1948/49 verankert, über die die West-Alliierten – allen voran die USA – Güter zur Versorgung der durch die Berlin Blockade eingeschlossenen Bevölkerung Westberlins in die Stadt flogen. Unter dem Stichwort „Rosinenbomber“ wurde die Aktion zu einem Westberliner Gründungsmythos. Die Luftbrücke begründete das Westberliner Selbstbild als „Vorposten der Freiheit“ gegenüber dem Ostblock.


Einblick in den Hangar

<p>Einblick in den Hangar</p>
Tag der offenen Tür am Flughafen Tempelhof, 1976.
Foto: Imago / Gerhard Leber

Dennoch blieb der Flughafen für die Stadtbevölkerung zunächst unzugänglich. Bis 1994 nutzte die US-Armee ihn als Militärbasis und gab nur einen Teilbereich für die zivile Luftfahrt frei. Statt zu den Flugshows und militärischen Veranstaltungen, für die die Nazis den Flughafen mit Publikumsrängen ausgestattet hatten, besuchten die Westberliner:innen den Flughafen nun zum „Tag der offenen Tür“ und den Flugshows der US-Amerikaner:innen.


Tor zur Welt

<p>Tor zur Welt</p>
Hubschrauberflug des Aviation Detachment, im Hintergrud der Flughafen Berlin-Tempelhof, im Vordergrund der Schillerkiez in Berlin-Neukölln, 1991.
Quelle: AlliiertenMuseum, public domain, via Museum digital. Foto: U.S. Army Berlin Brigade Visual Information Activity, 1991. URL: https://nat.museum-digital.de/object/590348

Der Flughafen Tempelhof war das „Tor zur Welt“, durch das mit Filmstars und Politiker:innen ein internationales Flair in die abgeschirmte Halbstadt gelangte. In den 1990er Jahren fiel jedoch die Entscheidung für einen gemeinsamen Großflughafen Berlin-Brandenburg in Schönefeld in der nun vereinten Hauptstadt. Tempelhof wurde stillgelegt und die Berliner:innen hatten auf einmal wieder Zugang zu dem riesigen Rollfeld.


Sonntags auf dem Felde…

<p>Sonntags auf dem Felde…</p>
Abendstimmung auf dem Feld
Foto: Imago / Jürgen Held

Die Berliner:innen lieben ihr ‚Feld‘, das zeigen die hohen Besuchszahlen. Das ehemalige Flugfeld hat heute wieder seine ursprüngliche Funktion. Als Park ist es ein Ort der Freizeit, der Naherholung, des Experimentierens – und damit der Bevölkerung. Die bauliche Leerstelle ist für viele ein authentischer urbaner Ort, gerade weil er so grün ist.


Partizipation und Selbstgestaltung

<p>Partizipation und Selbstgestaltung</p>
Collage der Künstlerin Sigrid Weise im U-Bahnhof Tempelhof mit aktuellen Fotografien auf der Grundlage des Gemäldes „Sonntag auf dem Tempelhofer Feld‘ von Hans Baluschek, 1907.
Foto: Sigrid Weise URL: www.art-weise-berlin.de

2011 erwirkten Berliner:innen in einem Volksentscheid den dauerhaften Erhalt der Freifläche. Zwar macht die Stadt angesichts der Wohnungsnot immer wieder Vorschläge für eine Bebauung, viele Berliner:innen stehen dem allerdings weiterhin ablehnend gegenüber und das, obwohl sie selbst von den steigenden Mieten betroffen sind. Darin zeigt sich der hohe Wert, der dem ‚Feld‘ als Ort der Naherholung zugemessen wird. Bürger:inneninitiativen ist es zu verdanken, dass neben der Luftbrücke auch die unrühmliche Geschichte des Ortes in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet wird.


Autorin: Josephine Eckert

Fußnoten

1) Zitat aus: A. Berson/R. Süring: Ein Ballonaufstieg auf 10.500 Meter, in: Illustrierte Aeronautische Mitheilungen 1901 (4), S. 160 – 120, URL: https://archive.org/details/bub_gb_xi45AQAAMAAJ/page/n179/mode/2up?view=theater.


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