Plac Solidarności / Centrum Dialogu Przełomy | Szczecin

Titelbild des Steckbriefs für Plac Solidarności / Centrum Dialogu Przełomy | Szczecin
Szczecin plac Solidarności, 04.07.2021.
Quelle: Kapitel, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Szczecin_plac_Solidarnosci_dron_%282%29.jpg

Zwölf Menschen starben hier bei Protesten. Nun ist dieser Platz ein öffentlicher Raum, der zum Dialog einlädt.

Was ist das?

Platz Solidarnosci (= Platz der Solidarität) mit dem Centrum Dialogu Przełomy (= Dialogzentrum Umbrüche)

Wann wurde das Gebäude errichtet?

Museum: 2016; Platz seit ca. 1945

Wie wird das Gebäude genutzt?

Es ist ein unterirdisches Museum mit Ausstellungen und Bildungsangeboten zur neueren Geschichte Szczecins. Das Dach bildet der Platz der Solidarität. Es ist ein Veranstaltungs-, Versammlungs- und Gedenkort.

Vom Wohnblock zum Platz ohne Namen

<p>Vom Wohnblock zum Platz ohne Namen</p>
Die Geschäftshäuser der „Atlanic“ und „Sedina“ in Stettin am Königstor.
Quelle: Magistrat (Hg.) (1925): Stettin. Deutscher Architektur- und Industrie-Verlag. Berlin (Deutschlands Städtebau), S. 133.

Der Platz der Solidarität hatte in seiner Geschichte verschiedene Namen. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als Szczecin noch Stettin hieß und Teil des Deutschen Reiches war, gab es zunächst an dieser Stelle keinen offenen Platz, sondern einen reich verzierten Wohnblock mit dem Geschäftshaus „Sedina“, der zum repräsentativen Teil der Stadt gehörten. Durch das Bombardement der Alliierten im Jahr 1944 wurde der Wohnblock größtenteils zerstört.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr Stettin einen entscheidenden Umbruch, da im Zuge der Konferenz von Jalta die Westverschiebung der polnischen Grenzen beschlossen wurde. Für Stettin folgte nach Monaten der Unsicherheit daraus, dass es nun unter polnische Verwaltung gestellt und in Szczecin umbenannt wurde.


Polnische Soldaten und Fischerboote

<p>Polnische Soldaten und Fischerboote</p>
Spielplatz auf dem Plac Żołnierza Polskiego, 1960.
Foto: Bolesław Galecki: Pl. Solidarności. Sierpień 1960. Quelle: sedina.pl/galeria/displayimage.php?pid=29847&fullsize=1 [13.09.2022]. Mit freundlicher Genehmigung von Raimund Galecki.

Die neue nationale Zugehörigkeit resultierte in einer fast vollständigen Vertreibung der Deutschen und Neubesiedelung der zerstörten Stadt durch eine polnische Bevölkerung.
Die Ruinen des Wohnblockes wurden nach dem Krieg abgetragen. Es entstand ein weiter, freier Platz. Die neue Realität als Teil der Volksrepublik Polen führte dazu, dass keine deutschen Bezeichnungen mehr verwendet werden sollten. Namen wurden so gewählt, dass sie die Souveränität des Staates in Szczecin betonen und festigen sollten, indem sie an Motive der polnischen Geschichte anknüpften. Für den Platz bedeutete dies, dass er mit einem angrenzenden Platz unter dem Namen Plac Żołnierza Polskiego (= Platz des polnischen Soldaten) zusammengefasst wurde. Auf der Freifläche wurde in den 1960er Jahren ein Spielplatz errichtet, der in seiner Gestaltung an das Image Szczecins als Meeresstadt erinnert.


Am Wendepunkt

<p>Am Wendepunkt</p>
Inbrandsetzung der Parteizentrale, 1970.
Foto: Zbigniew Wróblewski (17.12.1970): Grudzień 70.

Die sich seit Ende der 1960er Jahre anbahnende politische und wirtschaftliche Krise Polens fand 1970 ihren Höhepunkt. In Szczecin, wie auch in Gdańsk, Gdynia und Elbląg begannen in den Werften Proteste wegen der stark ansteigenden Lebensmittelpreise. Als der erste Sekretär des Woiwodschafts-Ausschusses der PZPR in Szczecin, Antoni Walaszek, ein Gespräch mit den Protestierenden ablehnte, marschierten sie in stetig wachsender Zahl zum Parteisitz, der an den Platz des polnischen Soldaten angrenzt. Auf dem Weg kam es bereits zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Miliz und der als Verstärkung hinzugezogenen Armee. Die Lage eskalierte, sodass die Protestierenden die  Parteizentrale in Brand steckten. Aus den Fenstern des Polizeipräsidiums, das direkt an den Platz angrenzt, wurde auf die Menschenmenge geschossen. In den Protesten wurden insgesamt 16 Menschen im Alter von 16 bis 59 getötet. Diese Ereignisse und insbesondere der vertuschende Umgang mit den Opfern des Protestes und ihren Familien prägten das lokale Gedächtnis Szczecins nachhaltig.


Der Platz der Solidarität erscheint im Kartenbild

<p>Der Platz der Solidarität erscheint im Kartenbild</p>
Ausschnitt Touristische Karte, Szczecin Zentrum, 1990.
Quelle: Giborski, Andrzej/ Wolny, Bołeslaw (1990): City map Szczecin centrum. Touristische Karte, Towarzystwo Przyjaciół Szczecina i Okręgowe Przedsiębiorstwo Geodezyjno-Kartograficzne, Szczecin. Mit freundlicher Genehmigung von Wojciech Wolny. URL: https://rodzinawolnych.wordpress.com/boleslaw-wolny/ [22.09.2022].

Mit den Erfolgen der Solidarność-Bewegung und den damit verbundenen ersten, teilweise freien Wahlen in der Volksrepublik Polen im Juni 1989, setzte der Systemwechsel vom sozialistischen zum demokratischen Staat ein. Nachdem auch in Szczecin die AktivistInnen der Bewegung die Macht übernommen hatten, wurde nun der Teil des Platzes, der direkt vor dem Polizeipräsidium liegt, umbenannt in Plac Solidarności (Platz der Solidarität). Ein solcher Akt des offiziellen Gedenkens an die Aufstände gegen die Vereinigte Arbeiterpartei wäre unter den vorherigen Machthabern nicht möglich gewesen.


Gedenken: Ja! Aber wie?

<p>Gedenken: Ja! Aber wie?</p>
Einweihungsfeier des Denkmals „Freiheitsengel“ auf dem Platz der Solidarität, 2005.
Foto: Skarżyński, Jerzy (28.08.2005). Quelle: https://skarzynski.pl/2005/08/28/szczecin-aniol-wolnosci-pomnik-pamieci-szczecinskich-ofiar-grudnia-70/[22.09.2022]

Da sich die Solidarności-Bewegung in der Tradition der Aufstände von 1970 sah, sollte ein Denkmal im Stadtzentrum errichtet werden. Der hierfür ausgeschriebene Wettbewerb führte jedoch zu einer hitzigen Debatte über das Aussehen des zukünftigen Denkmals. Diskutiert wurde unter anderem über die befürchtete Konkurrenz zum Denkmal in Gdańsk, den zu wählenden Stil, sowie der Forderung, nicht nur an den Aufstand selbst,, sondern auch der Opfer zu gedenken. Schlussendlich wurde der Bildhauer Czesław Dźwigaj mit einem Denkmal beauftragt. Auch sein Vorschlag wurde mehrfach modifiziert. 2005 wurde der „Freiheitsengel“ auf dem Platz der Solidarität eingeweiht. Zwar wurde das Denkmal unter anderem als eines der hässlichsten in Polen nominiert, jedoch wog der Wunsch nach einem Denkmal stärker, als dass man sich weiteren Diskussionen stellen wollte.


Konkurrenz der Gedenkorte?

<p>Konkurrenz der Gedenkorte?</p>
Plac Solidarności, 2017.
Foto: Kondrat, Michał: Plac Solidarności, 28. Juli 2017. (CC BY-NC-ND 2.0). Quelle: https://www.flickr.com/photos/michalkondrat/35465683483/in/photolist-W2YU6r Kondrat, Michał: Plac Solidarności (28. Juli 2017) URL: https://www.flickr.com/photos/michalkondrat/35465683483/in/photolist-W2YU6r [13.09.2022].

Der Wunsch, der neuesten Geschichte Szczecins von 1939–1989 zu gedenken und einen Bildungsort zu schaffen, wurde ab 2005 stärker. Auch hier kam es zu hitzigen Diskussionen über die Art und Weise der Ausführung. Man entschied sich für die Einrichtung des Dialogzentrums Umbrüche als Zweigstelle des Nationalmuseums Szczecins. Wegen seiner Symbolhaftigkeit diente der Platz der Solidarität als Standort. Zunächst wurde jedoch nicht bedacht, dass der neue Museumsbau das Denkmal des „Freiheitsengels“ verdecken oder sogar mit ihm in Konkurrenz treten könnte. Das „Komitee Dezember 1970“ empörte sich über die Ausschreibung des Architektur-Wettbewerbs und die Wahl des Platzes.

Letztlich setzte sich der Entwurf des Architekten Konrad Kuczy-Kuczyński durch.  Dieser sah ein unterirdisches Museum vor, dessen gebogenes Dach weiterhin als Versammlungs- und Gedenkort genutzt werden konnte und das Denkmal des „Freiheitsengels“ integrierte.

Die Ausstellung des Museums wurde zum Teil von persönlichen Gegenständen, die die EinwohnerInnen Szczecins gespendet haben, aufgebaut, sodass hier ein Ort entstand, an dem sich Identität der Stadt konzentriert.


Viele Meinungen, viele Proteste!

<p>Viele Meinungen, viele Proteste!</p>
Women’s Strike, 2020.
Foto: Agata Sierakowska : Women’s Strike 2020. Mit freundlicher Genehmigung von Stowarzyszenie Lambda Szczecin Quelle: https://lambda.szczecin.pl/pl/ [22.09.2022]

Seit dem Abschluss der Bauarbeiten hat sich das Dialogzentrum und der Platz in den Alltag der Stadt eingefügt. Der Freiraum gibt Lokalinitiativen einen Ort, um ihre Anliegen vorzutragen, Versammlungen zu veranstalten und sich Gehör zu verschaffen. Trotzdem verdrängt diese Nutzung nicht den Gedenkort oder Veranstaltungen, die im Rahmen des Dialogzentrums stattfinden. Aufsehenerregende Protestaktionen der letzten Jahre waren unter anderem der „schwarze Protest“ für die Selbstbestimmung von Frauen, Proteste gegen die sogenannten LGBTQ-freien Zonen in Polen oder Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine.


Autorin: Tabitha Redepenning


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