Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt „Urbane Authentizität“ untersucht, wie seit den 1970er Jahren bis heute in europäischen Stadtgesellschaften über öffentliche Debatten, mediale Präsentationen und städtebauliche Praktiken bestimmte Teile des Bauerbes in Wert gesetzt und „authentisiert“ wurden. Dies geschieht durch Fallstudien zu Nürnberg, Potsdam, Marseille und Szczecin sowie einem übergreifenden Projekt zur Region Berlin-Brandenburg.

„Authentizität“ als scheinbar „echte“, „reine“ und „wahre“ Eigenschaft von Personen, Objekten und Praktiken ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen öffentlichen Diskurs geworden. Der Wunsch nach Authentizität steht für den Wunsch nach dem Ursprünglichen und Unverstellten. Städtische Objekte und Praktiken, denen historische Authentizität zugeschrieben wird, beziehen sich auf einen gesellschaftlich in Wert gesetzten geschichtlichen Zusammenhang. Elemente städtischer Authentizität sind unter anderem die Landschaft, das Stadtbild und der Stadtgrundriss. Solche als bedeutsam bewerteten historischen Sachverhalte müssen in der Regel von den als authentisch wahrgenommenen Objekten oder Praktiken glaubwürdig repräsentiert werden. Wie glaubhaft die Repräsentation ist, kann von verschiedenen Rezipientengruppen ganz unterschiedlich bewertet werden (Bernhardt 2022).

Urbane Authentizität ist einerseits Teil der materiellen Authentisierung, also historische Orte und Bauten, deren materielle Echtheit und langfristige Kontinuität scheinbar eindeutig zu sein scheint, unabhängig von kultureller Deutungsvielfalt. Das Forschungsprojekt baut damit auf bereits bestehenden Studien zu historischer Authentizität aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft und der Denkmalpflege auf (Bartetzky 2017; Bernhardt 2017; Farrenkopf 2020; Sabrow/Saupe 2022). Die materielle Authentizität ist nur scheinbar eindeutig, da zahlreiche Bauten verschwunden sind, nur wenige ausgewählte Orte bewahrt, rekonstruiert, umgebaut oder als Graffiti und Wandbilder rasch von einer neueren Zeitschicht überlagert werden. Andererseits bezieht sich städtische Authentizität auf die immaterielle Authentisierung, also kulturelle Praktiken, Stadtfeste, lokale Gebräuche, mobile Objekte, Bürgerinitiativen, Gerüche und Geräusche, die einem Ort erst eine urbane Aura verleihen.

Die Frage nach Authentizität löst zahlreiche Debatten über den Umgang mit dem kulturellen Erbe und kulturellem Wandel aus. Beim Wiederaufbau von Gebäuden und Stadtvierteln entzündeten sich in vielen europäischen Stadtgesellschaften politische Konflikte. Die Frage, ob und wie Authentizität von Dingen nach und nach verloren geht und wiederherstellbar ist, führt zu zahlreichen Diskussionen in der Denkmalpflege und Stadtplanung. Zivilgesellschaftliche Gruppen, Politiker:innen und Expert:innen diskutierten intensiv über Projekte zur Rekonstruktion historischer Gebäude und Stadtviertel. Dieses Forschungsprojekt ist das erste, das systematisch die Muster solcher Diskurse in einer transnationalen historiographischen Perspektive analysiert. Im Zentrum der Untersuchung stehen öffentliche Debatten und Praktiken von Bürgerinitiativen, Stadtverwaltungen und weiteren Akteuren seit den 1970er Jahren. Die Debatten um ein „authentisches“ Bauerbe werden anhand von Fallbeispielen in Städten der Bundesrepublik, der DDR, Polens und Frankreichs untersucht: Nürnberg, Potsdam, Szczecin, Marseille und die Region Berlin-Brandenburg. Die Themen der Authentisierung und ihre jeweilige Illustration auf der Webseite zeigen exemplarisch unterschiedliche Prozesse des Umgangs mit städtischem Bauerbe auf. Diese haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind geprägt von Diskursen um das Bauerbe in Deutschland.

 

Projektteam

Prof. Christoph Bernhardt (IRS)
Dr. Daniel Hadwiger (IRS)
Tobias Rinke, B.Sc. (IRS)
Dr. Achim Saupe (ZZF)
Dr. Anja Tack (ZZF)
Josephine Eckert, B.A. (ZZF)
Sabrina Runge, B.A. (ZZF)
Dr. Christian Lotz (Herder-Institut)
Tabitha Redepenning, M.A. (Herder-Institut)
Prof. Elke Seefried (RWTH Aachen)
Julia Ziegler, M.A. (IfZ)
Dr. Elke Kimmel (Museumsverband Brandenburg e.V.)
Dr. Arne Lindemann (Museumsverband Brandenburg e.V.)

Das Forschungsprojekt „Urban Authenticity: Creating, Contesting, and Visualising the Built Heritage in European Cities since the 1970s“ wird von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert. Projektpartner sind das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner (IRS), das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF), das Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin (lfZ), das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft und der Museumsverband des Landes Brandenburg e.V.

 

Publikationen und Projekte

Monografien

Sammelbände

  • A. Saupe, S. Samida (2021): Weitergabe und Wiedergabe. Dimensionen des Authentischen im Umgang mit immateriellem Kulturerbe, Reihe: Wert der Vergangenheit; Bd. 3. Göttingen: Wallstein.
  • M. Sabrow; A. Saupe (2022): Handbuch Historische Authentizität, Reihe: Wert der Vergangenheit, Bd. 5, Göttingen: Wallstein.
  • A. Saupe, C. Bernhardt,, D. Hadwiger (Hg.): Urban Authenticity and Heritage after 1945. Creating and Contesting Identities and Images in European Cities (in Vorbereitung).

Aufsätze

  • C. Bernhardt (2020). Stadt als gebaute Form – Dynamiken des historischen Wandels, Persistenzen und Entwicklungspfade. in I. Breckner, A. Göschel, & U. Matthiesen (Hrsg.), Stadtsoziologie und Stadtentwicklung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis, S. 655-666. https://doi.org/10.5771/9783845276779-655
  • C. Bernhardt: Stadt (2022), in: M. Sabrow/A. Saupe: Handbuch Historische Authentizität, Reihe: Wert der Vergangenheit, Bd. 5, Göttingen: Wallstein, S. 482–491.
  • D. Hadwiger (2023): Die Entdeckung der Altstadt. Authentisierungsstrategien und die Sanierung des Altstadtviertels Le Panier in Marseille, 1972–1991, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Bd. 50 (2023), S. 395-416. https://www.dhi-paris.fr/publikationen/francia.html
  • A. Saupe (2020): Analysing Authentication and Authorisation Processes in Cultural Heritage and the Museum, in: Brüggerhoff, Stefan; Kimmel, Dominik (Hg.), Museen. Orte des Authentischen? Museums – Places of Authenticity? Beiträge internationaler Fachtagungen des Leibniz-Forschungsverbundes Historische Authentizität in Mainz und Cambridge. Mainz: Propyläen, S. 35-42. https://books.ub.uni-heidelberg.de/propylaeum/catalog/book/745
  • A. Saupe (2021), „Jedes Denkmal ist eben eine Versteinerung“. Reinhart Kosellecks Zeitschichten -Paradigma und und die Erinnerungskultur, in Bösch u.a. (Hg.), Public Historians. Zeithistorische Interventionen nach 1945, Göttingen: Wallstein Verlag, S. 116-130. https://www.wallstein-verlag.de/9783835350328-public-historians.html
  • A. Tack (2021): Potsdam imaginiert. Die Neuerfindung von urbaner Public History seit 1989/90, in: ZeitRäume, Potsdamer Almanach des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische, Potsdam.
  • A. Tack; J. Eckert (2021): Bildstörung – wenn sozialistische Moderne auf vormoderne Idealbilder trifft. Ein Projekt am ZZF erforscht bilddiskursive Authentisierungsverfahren am Beispiel Potsdams, in: Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung. URL: https://visual-history.de/project/bildstoerung-wenn-sozialistische-moderne-auf-vormoderne-idealbilder-trifft/
  • A. Tack (2022): Auf dem „Trümmerhaufen vergangener Zukunft“. Das Wandbild ohne Titel von Tim Trantenroth erinnert an den Palast der Republik, in: Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss (Hg.): Zeitgenössische Kunst im Humboldt Forum, Berlin.
  • C. Lotz; P. Grünler (2021): Constructing Regions, Constructing Regions, Conflicting Lines, Changing Places. Cartographic perspectives on East Central Europe / Raumkonstrukte, Konfliktlinien, Ortsveränderungen. Kartografische Perspektiven auf Ostmitteleuropa, Marburg

Internetveröffentlichungen

Websites

Ausstellung

Audiowalk

Auswahlliteratur

  • Bartetzky, Arnold (Hg.): Geschichte bauen. Architektonische Rekonstruktion und Nationenbildung vom 19. Jahrhundert bis heute, Köln/Weimar/Wien 2017.
  • Bernhardt, Christoph/Sabrow, Martin/Saupe, Achim (Hg.): Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum, Göttingen 2017.
  • Bernhardt, Christoph: Stadt, in: Sabrow, Martin; Saupe, Achim (Hg.): Handbuch Historische Authentizität, Göttingen 2022, S. 482–492.
  • Bold, John/Larkham, Peter/Pickard, Robert (Hg.): Authentic Reconstruction. Authenticity, Architecture and the Built Heritage, London 2017.
  • Falser, Michael: Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008.
  • Farrenkopf, Michael/Meyer, Torsten (Hg.): Authentizität und Industriekulturelles Erbe. Zugänge und Beispiele, Berlin/Boston 2020.
  • Lindl, Stefan: Die authentische Stadt. Urbane Resilienz und Denkmalkult, Wien 2020.
  • Mager, Tino: Schillernde Unschärfe. Der Begriff der Authentizität im architektonischen Erbe, Berlin/Boston 2016.
  • Sabrow, Martin; Saupe, Achim (Hg.): Handbuch Historische Authentizität, Göttingen 2022.
  • Saupe, Achim: Authentizität, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.08.2015. URL: http://docupedia.de/zg/saupe_authentizitaet_v3_de_2015.
  • Schilling, Erik: Authentizität. Karriere einer Sehnsucht, München 2020.
  • Vinken, Gerhard: Zone Heimat. Altstadt im modernen Städtebau, München 2010.
  • Zukin, Sharon: Naked city. The death and life of authentic urban places. Oxford/New York 2010.

 

Beteiligte Institutionen

  • Förderorganisation: Leibniz-Gemeinschaft
  • Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS)
  • Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V. (ZZF)
  • Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin (lfZ)
  • Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft
  • Museumsverband des Landes Brandenburg e.V.