Humboldt Forum | Berlin
Und schon steht es wieder! Das Humboldt Forum scheint das barocke Stadtschloss wieder belebt zu haben. Es ist zugleich ein hochmoderner Bau.
Was ist das?
Das Humboldt Forum. Das Gebäude wird auch Berliner Schloss oder Stadtschloss genannt.
Wann wurde gebaut?
Von 2013 bis 2020. Der an selber Stelle 2006 abgerissene Palast der Republik war 1976 fertiggestellt worden.
Wer nutzt das Gebäude?
Besucher:innen des Forums können Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, des Stadtmuseums Berlin und der Humboldt-Universität einsehen.
Die Zerstörung einer preußischen Ikone
Das Berliner Stadtschloss wurde in mehreren Bauphasen zwischen 1443 und 1853 errichtet. Bis ins 20. Jahrhundert galt das Schloss als Zentrum der preußischen Staatsmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben allein die Grundmauern des ausgebrannten Schlosses zurück. Grund genug für die junge DDR das Gebäude ab 1950 als Symbol des „wilhelminischen Imperialismus“1) abzureißen. Bewusst blieb ein Portal des Schlosses erhalten, unter dessen Balkon Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausgerufen haben soll. Das Portal wurde in das benachbarte Staatsratsgebäude integriert.
Palast statt Schloss
In weniger als 1 000 Tagen Bauzeit wurde 1976 an der Stelle des Stadtschlosses der „Palast der Republik“ errichtet. Dieser fungierte als kultureller Veranstaltungsort und Sitz der Volkskammer. Zuvor hatte die Fläche nach der Sprengung des Schlosses als Aufmarschplatz gedient. Der Palast der Republik hatte den Anspruch „als Haus des Volkes anstelle des alten Schlosses als Haus der preußischen Könige und Kaiser“ die Arbeiterklasse „würdig zu repräsentieren“.2) Im Volksmund wurde das Gebäude auch „Palazzo Prozzi“ genannt.
Ein belebter Palast
Der Palast war nicht nur der repräsentative Sitz der Volkskammer und von rein politischer Funktion, sondern bot auch zahlreiche kulturelle Veranstaltungen und gastronomische Angebote. Im ersten Geschoss gab es eine Milchbar, Espresso und Mokkabar, die jeweils von 10 bis 24 Uhr geöffnet hatten. Palast-, Linden- und Spreerestaurant im 2. Geschoss hatten je von 11 bis 24 Uhr geöffnet. Zudem gab es eine Weinstube, eine Bierstube, das „Spreebowling“ und einen Jugentreff. Im sogenannten „großen Saal“ konnten zudem bis zu 5 000 Besucher:innen an verschiedenen kulturellen Veranstaltungen teilhaben. So wurde hier beispielsweise das Ballett „Schwanensee“ aufgeführt, wie im Bild erkennbar.
„Luftschloß für 100 Tage“³
Nach der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Verlust seiner Nutzung als Volkskammer stand der Palast der Republik zunächst leer. Daraufhin entbrannten heftige Debatten um die Zukunft des Ortes, die das mediale Interesse auf sich zogen. Einige forderten den Abriss des Palastes und den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses – ein Vorhaben, das in weiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stieß. Im Jahr 1993 erfolgte schließlich im Rahmen einer privat finanzierten Initiative des Fördervereins „Berliner Stadtschloß“ die Errichtung einer Schlosssimulation. Dafür wurde die Fassade des Stadtschlosses im originalgetreuen Maßstab auf großen Plastik-Planen abgebildet und mittels einer temporären Stahlkonstruktion vor dem Palast der Republik platziert. Die Aktion hatte großen Erfolg und wird häufig als Zeitpunkt des Stimmungsbruchs in der Schlossdebatte benannt. Der Berliner Kurier titelte 1993: „Fassade lenkt Autofahrer ab: Schon 50 Unfälle am Stadtschloß“.4) Als die Attrappe nach 15 Monaten abgebaut wurde, schienen eine Vielzahl von Berliner:innen vom Wiederaufbau des Schlosses überzeugt zu sein. Dennoch, die Gegenstimmen verstummten keineswegs: 1993 protestierten 2 000-10 000 Menschen für den Palast-Erhalt. 1996 gründete sich der „Verein zur Erhaltung des Palastes der Republik e.V.“.
Palast des Zweifels
Die Debatte um die Zukunft des historischen Ortes fand nicht zuletzt Widerhall in der Kunst. Der norwegische Künstler Lars O Ramberg konzipierte eine Installation zu den Debatten. Der acht mal vierzig Meter große Schriftzug „Zweifel“ krönte die Palast-Ruine vom Januar 2005 bis zum Beginn der Abrissarbeiten. Im Tagesspiegel erklärte der Künstler den Hintergrund der Installation: „Mir war klar, dass dies etwas Größeres ist als nur eine Abrissdebatte. Es ging um den Zweifel als Logo für ein neues Deutschland, ein neues Europa.“5) Den Diskurs um den Abriss des Palastes der Republik verstand er somit als Symbol für die Identitätssuche einer frisch vereinigten Nation.
Schloss statt Palast
Schließlich wurde der Palast der Republik unter Protesten von 2006 bis 2008 abgerissen. Zuvor war das Gebäude bei einer Asbestbeseitigung bis in den Rohbau-Zustand rückgebaut worden. Viele Demonstrant:innen kritisierten das Schloss als Symbol der Monarchie. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages lehnte insgesamt 880 Einwände gegen den Abriss ab. An der Stelle des Palastes begann 2013 die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses unter Leitung von Franco Stella. Letztlich wurde beim Wiederaufbau der historischen Mitte Berlins das Bauerbe der Kaiserzeit gegenüber der DDR priorisiert. Dies wurde durch ein Graffiti an den Überresten des Palastes ironisch kommentiert.
Aussichtsreiche Zukunft – Die Box zum Schloss
Um über den Wiederaufbau des Stadtschlosses zu informieren, wurde für den Bauzeitraum eigens ein Gebäude konzipiert. Die „Humboldtbox“ beherbergte unter anderem Ausstellungen der Humboldt-Universität und der staatlichen Museen Berlins und begleitete den Bau von 2011 bis 2018. Die Dachterrasse des 28 Meter hohen Gebäudes hatte das Ziel, dass „man die Hauptstadt nun endlich so sehen könne, wie sie vom Humboldt Forum aus aussehen würde“.6) Obwohl die architektonische Gestaltung vielfach kritisiert wurde, wurde die Humboldtbox als „Publikumserfolg“7) betitelt. So auch vom damals amtierenden Bürgermeister Berlins Klaus Wowereit, welcher die Faszination des Bauwerkes im „engen Bezug zur aktuellen baulichen Entwicklung am authentischen Ort“8) sah.
Alles nur Simulation?
Die detailgetreu rekonstruierte Fassade des barocken Stadtschlosses umhüllt heute das Humboldt Forum. Doch unter dieser Fassade versteckt sich ein moderner Stahlbetonbau, der die Dimensionen des Schlosses übernommen hat. Bis zur Fertigstellung des Baus befanden sich Poster, welche die zukünftige Schlossfassade in Original-Größe abbildeten, am Baugerüst. Diese Hülle verbarg somit einerseits den Rohbau und gab zudem einen Vorgeschmack auf den künftigen Bau, in ähnlicher Manier, wie es zuvor die Schlosssimulation von 1993 getan hatte. Die simulierte Rekonstruktion ist als Neuinterpretation des von Andreas Schlüter entworfenen barocken Stadtschlosses konzipiert worden.
Alt und Neu
Das entstandene Humboldt Forum besteht einerseits aus detailgetreu historisch rekonstruierten Elementen, wie der barocken Fassade. Diese erzeugt auf den ersten Blick den Eindruck, als stehe das Schloss seit Jahrhunderten unverrückbar in Berlins Stadtzentrum. Andererseits weisen andere Elemente auf die Modernität des Baus hin, wie die schlichte Ostfassade aus Sichtbeton. An den Ecken der Ostfassade ist das Aufeinandertreffen der beiden Zeitschichten besonders gut sichtbar. Architekt Franco Stella erklärte: „Alt und Neu werden architektonisch durch die Ideen des Palastes und der Piazza miteinander verbunden.“9)
Zwei Portale
Das Portal IV, unter dessen Balkon Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausgerufen haben soll, überstand den Schlossabriss der 1950er Jahre. Weitgehend aus geretteten Originalteilen wurde es nach einer Überarbeitung zwischen 1962 und 1964 in das gegenüberliegende Staatsratsgebäude integriert. Derzeit nutzt die European School of Technology das Gebäude. Durch die Rekonstruktion der Schlossfassade existieren heute nun zwei Versionen dieses Portals unmittelbar nebeneinander. Die einzig überbliebende historische Bausubstanz des Stadtschlosses befindet sich demnach nicht im rekonstruierten Schloss, sondern ist im benachbarten Gebäude verbaut.
Autor: Tobias Rinke
Fußnoten
1) Graffunder, Heinz und Beerbaum, Martin (1977): Der Palast der Republik, S. 9. Leipzig: VEB. E. A. Seemann Verlag.
2) Graffunder, Heinz und Beerbaum, Martin (1977): Der Palast der Republik, S. 9. Leipzig: VEB. E. A. Seemann Verlag.
3) Claussen, Christine (1994): Luftschloß für hundert Tage, in: Stern 24.
4) Unbekannt (18.07.1993): Fassade lenkt Autofahrer ab: Schon 50 Unfälle am Stadtschloß, in: Berliner Kurier.
5) Peitz, Christiane (2017): Das Kreuz und das Humboldt-Forum: Der Zweifel in Großbuchstaben, https://www.tagesspiegel.de/kultur/der-zweifel-in-grossbuchstaben-5254612.html
6) Kilb, Andreas (2010): Richtfest in Berlin – Die Box kommt, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/richtfest-in-berlin-die-box-kommt-12314.html
7) Kamleithner, Christa (2018): Ein leeres Zeichen. In z.B. Humboldtbox – Zwanzig architekturwissenschaftliche Essays über ein Berliner Provisorium, S. 42-49, hier S.42. Bielefeld: transcript Verlag.