RAW Gelände | Berlin
Das Gelände des ehemaligen „Reichsbahnausbesserungswerk“ (RAW) an der Warschauer Straße gilt als beliebter Ort für Kultur, Party, Street Art und urbanes Leben in Berlin.
Welche Funktion hatte das RAW-Gelände?
1867 als Reichsbahnausbesserungswerk gegründet, wird es seit 1999 als soziokultureller, kommerzieller und touristischer Raum genutzt.
Was ist die Besonderheit?
Das 85 000 m2 große Gelände ist durch seine zentrale Lage ein umstrittener und begehrter Raum. Es ist Heimat zahlreicher kultureller Institutionen, Clubs, Flohmarkts, Gastronomie und sportlicher Veranstaltungen zugleich.
Wie geht es weiter mit dem RAW-Gelände?
Neue Planungen sehen eine dichte Bebauung und die Errichtung mehrstöckiger Bürohäuser vor. Die Koexistenz der bisherigen subkulturellen Szene und neuer Büro- und Gewerbeflächen ist umstritten.
Historischer Kern des Boxhagener Kiez
Das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks war vor der Inbetriebnahme vor allem Ackerland vor der Stadtgrenze Berlins. Auf einem Areal von 8,5 ha wurde die „Königlich Preußische Eisenbahnwerkstatt Berlin II“ ab 1876 errichtet. Bis in die 1920er Jahre entstand neben dem Reparaturwerk parallel eine kleine Stadt mit Dienstwohnungen, Krankenstation und Kultureinrichtungen.
Denkmalschutz und Subkultur
Das RAW-Gelände ist die älteste bauliche Anlage in der Nachbarschaft. Das angrenzende Areal im Boxhagener Quartier wurde erst ab 1900 erbaut und war überwiegend von Arbeiterfamilien bewohnt. Auf dem RAW-Areal steht das bauliche Ensemble entlang der Revaler Straße mit dem Beamtenwohnhaus, Ambulatorium, Verwaltungsgebäude sowie dem Stoff- und Gerätelager unter Denkmalschutz. Heute wird das Ensemble von Künstler:innen und soziokulturellen Vereinen genutzt.
Reparaturwerk der Bahn
Nach 1945 wurde das RAW-Gelände weiterhin zur Instandhaltung und Reparatur von Waggons genutzt. Auf dem Terrain befanden sich Werkstätten für Metall- und Holzarbeiten, Verwaltungs- und Lagergebäude, aber auch ein Kultursaal, eine Berufsschule, ein Ambulatorium zur medizinischen Behandlung und eine Kantine. Bis zu 1 700 Personen arbeiteten auf dem Gelände für die Bahn. Züge fuhren auf 15 Gleisen quer über das Gelände. Eine Schülerin erinnert sich: „Es war so laut in diesen Hallen (…) Lauf klopften Hämmer auf dem Metall. Überall Quietschen, Klopfen, Hämmern. (…) Die Güterwaggons mussten von den Frontseiten der Hallen einfahren und rausfahren. Die Hallen waren also auch im Winter offen. Das war sicherlich sehr kalt“. 1967 wurde das Gelände zum 100. Jubiläum nach dem kommunistischen Reichstagsabgeordneten Franz Stenzer benannt. Heute erinnert auf dem RAW-Gelände noch ein Gedenkstein mit Bronzeportraitrelief von 1967 an den in der NS-Zeit ermordeten Abgeordneten.
Unklarer Ort
1993 wurde das „Reichsausbesserungswerk Franz Stenzer“ geschlossen. Nur auf dem südöstlichen Teil des Geländes werden weiterhin Züge durch die Talgo GmbH gewartet. Das RAW-Gelände lag brach und wurde teils illegal genutzt. Im Stadtplanungsamt Friedrichshain hieß es noch 1999, „das Gebiet ist durch Abwesenheit von Stadt geprägt“. Ungeklärte und komplexe Eigentumsverhältnisse erschwerten Planungen zur Nutzung des Geländes. Ein gelber Zaun grenzte von 2000–2002 den Nutzungsbereich des soziokulturellen Vereins RAW-Tempel e.V. zum restlichen Gelände ab.
Freiraum für soziokulturelle Aktivitäten
1999 bezog der soziokulturelle Verein „RAW-tempel e.V.“ vier Gebäude des RAW-Areals. Ziel war, die Räume und Fläche für Projekte und Einzelpersonen für soziokulturelle und gewerbliche Zwecke zur Verfügung zu stellen, vorwiegend aus der Nachbarschaft. So entstanden im ehemaligen Materiallager Musik- und Akrobatikräume. Im Beamtenwohnhaus und Verwaltungsgebäude wurden Ateliers für Bildende Kunst und Kunsthandwerk eingerichtet.
Hoch hinaus
Ab den 2000er Jahren entwickelte sich das RAW-Gelände zu einem beliebten Veranstaltungsort. Eine Indoor-Skatehalle ermöglichte ab 2004 „im Herzen Berlins eine überdachte und geschützte Trainingsstätte für die Sport- und Jugendkulturen Skateboarding und BMX zu schaffen“. Der Geländeteil wird von einem ehemaligen Luftschutzbunker aus der NS-Zeit dominiert, der als „Kegel“ zu einem Kletterturm umfunktioniert wurde.
Bedrohte Pionierpflanzen
Auf den brachliegenden Flächen entwickelte sich ab den 1990er Jahren eine Ruderalvegetation mit seltenen Pionier- und Kulturpflanzen. Die Geschichtswerkstatt_RAW dokumentierte 2022 in einer Ausstellung die grüne Geschichte des RAW-Geländes, auf dem alte Eschen oder der Mauerfarn (Rote Liste) heimisch sind.
Ungewisse Zukunft
Planungen von 2022 sehen eine partielle Umgestaltung des RAW-Geländes vor. Ein Teil des Areals, RAW West mit einer Fläche von 5,4 ha, soll durch Gewerbegebäude und ein Hochhaus bebaut werden. Ein anderer Teil des Geländes, das sogenannte RAW Kultur L, soll durch einen anderen Träger übernommen werden. Das langfristige Nebeneinander von soziokulturellen Aktivitäten und gewerblicher Nutzung auf dem RAW-Gelände ist ungewiss.
Autor: Daniel Hadwiger