Kurfürstendamm | Berlin

Titelbild des Steckbriefs für Kurfürstendamm | Berlin
Voller Eindrücke – Am Kurfürstendamm flanieren die Menschen entlang zahlreicher architektonischer Ikonen. Postkarte U-Bahnhof Kurfürstendamm, 1983.
Foto: User Tobias [beeat] via Ansichtskarten-Lexikon. URL: https://ansichtskarten-lexikon.de/ak-231274.html.

Sehen und gesehen werden

Wie lang ist der Kurfürstendamm?

3,5 km, er führt von Bahnhof Zoologischer Garten und Gedächtniskirche bis zum Halensee.

Wie alt ist er?

Fast 500 Jahre, damals noch ein Damm zwischen Berliner Stadtschloss und kurfürstlichem Jagdrevier im Grunewald– seit ungefähr 150 Jahre ein Boulevard, der er heute noch ist.

Was gibt es dort zu sehen?

Flaneure und Flaneusen auf dem Boulevard, Kaffeegenießer:innen im Café Kranzler, Theater-Besucher:innen in der Schaubühne am Lehniner Platz, Tourist:innen an der Gedächtniskirche, Obdachlose am Bahnhof Zoo und Anwohner:innen.

Die Geschichte des Kurfürstendamms ließe unterschiedlich erzählen: Anhand der Historie seiner architektonischen Ikonen oder durch den Blick auf die Straßenszenen. Zwar sind beide Perspektiven nicht voneinander zu trennen, aber sie sind unterschiedliche Ansätze, Authentisierungsprozesse nachzuvollziehen. Hier schauen wir auf die historischen Rückbezüge und die Innovationskraft der Architektur des Boulevards ebenso wie auf Sehnsüchte, Mythen und Atmosphären, die sich um den „Ku’damm“ drehen. In ihrem Spannungsverhältnis zeigt sich, was den Ku’damm in der jeweiligen Zeit authentisch machte. Dabei sind die Bauten nicht nur die Kulissen für eine authentische Atmosphäre, sondern drücken auch aus, was über die Jahrzehnte hinweg jeweils als authentische, großstädtische Boulevard-Architektur galt.

Themen der Authentisierung: IkonisierungUrbanitätVermarktung

Die Champs Élysées Berlins

<p>Die Champs Élysées Berlins</p>
Postkarte Kurfürstendamm, 1911.
Foto: User Akpool URL: : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Wilmersdorf_Kurf%C3%BCrstendamm.jpg Lizenz: public domain

Otto von Bismarck wollte in der Kaiserhauptstadt Berlin eine Prachtstraße an-legen, die der Champs Élysées in Paris gleichkommen sollte – und erkor dazu den Kurfürstendamm. Neue großräumige und herrschaftliche Wohnungen wurden von privaten Investor:innen für das Bürgertum verbargen sich hinter Fassaden, die historisch anmuten sollten. Damals von Kritiker:innen als ge-schmacklos überbordende „Kurfürstendammarchitektur“ betitelt, sind die Gebäude mit ihren Stuckfassaden heute beliebte „Schmuckstücke“.1)


Volksvergnügen an der Endstation

<p>Volksvergnügen an der Endstation</p>
Postkarte Luna-Park-Terrassen, 1904.
Foto: User Reinhard Kraasch, URL: : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lunaparkterrassen.jpg Lizenz: public domain.

Als Geburtsjahr des Ku’damms gilt das Jahr 1886, als die Straßenbahnlinie vom Zoologischen Garten zum Halensee eröffnet wurde. Das Gebiet rund um die Endstation „Halensee“ entwickelte sich daraufhin zum legendären Vergnügungspark. Der „Luna-Park“ ist dem Geschäftssinn der Investor:innen entsprungen, um nicht nur die Eliten der Kaiserzeit an den Ku’damm zu locken. Nach New Yorker Vorbild gab es Feuerwerke, Revuen, Karussells und Teufelsräder2) – aber auch sogenannte „Völkerschauen“ gehörten dazu.


Kaiserliche Repräsentation am Startbahnhof

<p>Kaiserliche Repräsentation am Startbahnhof</p>
Gedächtniskirche vom Bahnhof Zoo, 1926.
Foto: Staatsarchiv Freiburg W 134 Nr. 001521 / Fotograf: Willy Pragher URL: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-94974-1

Die Gestaltung des Ku’damms wurde aber nicht nur privaten Investor:innen überlassen, sondern war auch ein Projekt des deutschen Kaisers persönlich: In der Nähe vom Bahnhof Zoologischen Garten ließ Wilhelm II. das damals höchste Berliner Bauwerk, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, errichten. Er ordnete an, dass sie von einem „Romanischen Forum“ umgeben sein sollte: Der Stil der neuen Wohn- und Geschäftshäuser imitierte die Formensprache aus dem mittelalterlichen Europa.3)


„Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt und tutet und bimmelt“ (Ringelnatz „Berlin“)4)

<p>„Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt und tutet und bimmelt“ (Ringelnatz „Berlin“)<sup>4)</sup></p>
Szenenfoto der Revue „Das bist du!“ am Theater am Kurfürstendamm, 1927.
Foto: bpk / Press-Photo-Dienst Schmidt

Doch der Ku’damm und das kaiserliche Romanische Forum wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu Orten, die wenig mit dem monarchischen Deutschland gemeinsam hatten. Die Erdgeschosse waren mit Kinos und Theatern, Literaturcafés und Geschäften belebt. Zur Zeit der Weimarer Republik war der Ku’damm der Inbegriff der Goldenen Zwanziger: Treffpunkt der Avantgarde, Vergnügungsinsel und Skandalhotspot. Von den einen wurde die Kultur am Ku’damm als Emanzipation gefeiert, von den anderen als Sittenverfall verachtet.5)


Ein neuer Anstrich

<p>Ein neuer Anstrich</p>
Das Kino Ufa-Palast am Zoo mit Werbung für die Uraufführung des Films "Olympia Fest der Völker" von Leni Riefenstahl, 1938.
Foto: bpk / Josef Donderer

Im nationalsozialistischen Deutschland wurden Künstler:innen, Geschäfts- und Theaterinhaber:innen aufgrund ihrer politischen Einstellung oder jüdischen Herkunft verfolgt, vertrieben und ermordet. Doch der glanzvolle Schein lebte am Ku’damm weiter: Der „Ufa-Palast am Zoo“ am Romanischen Forum stand für das aufblühende deutsche Kino in den Zwanzigern; 1936 wurde es im Stil der Nationalsozialisten umgestaltet und zeigte u.a. die Premiere von Leni Riefenstahls Propaganda-Film zur Olympiade.6)


Bunte Fassaden in neuem Licht

<p>Bunte Fassaden in neuem Licht</p>
Kurfürstendamm bei Nacht, 1966.
Foto: WDR Digit / gering

„In den Wracks der Häuser, Läden, Parfümerien, Blumengeschäfte. … Es sitzen Leute an Tischen und spielen friedliches Leben. Und warum nicht? Es ist schönes Wetter“, schreibt Alfred Döblin 1945.7) Der Ku’damm wird in den 1950er Jahren rasant wieder aufgebaut. Er ist das „leuchtend[e] Schaufenster“ des Westens und in den Augen der Ost-Presse ein kapitalistischer „Schandfleck“. Doch die ideologische Aufladung lebte vor allem vom Mythos des Ku’damms der 1920er Jahre, denn noch lange Zeit gab es entlang der Straße Spuren der Kriegszerstörungen.8)


Im Schatten der Leuchtreklamen

<p>Im Schatten der Leuchtreklamen</p>
Zooterrassen, 1962.
Foto: IMAGO/serienlicht

Als 1978 das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Christiane F. erschien, bröckelt die Illusion des West-Berliner Prachtboulevards, immer ordentlich, sauber und schick zu sein. Die Leuchtreklamen an den Zoo-Terrassen, Fast-Food-Filialen, Spielsalons und Peep-Shows standen auf einmal nicht mehr für den wirtschaftlichen Aufschwung, sondern für die Verfehlungen der Konsumgesellschaft. Sie symbolisierten den „West-Berliner urbanen und moralischen Verfall“,9) der die Gesellschaft zugleich schockierte und faszinierte.


Demonstrieren statt flanieren

<p>Demonstrieren statt flanieren</p>
Loveparade, 1992.
Foto: IMAGO/Günther Schneider

Der Ku’damm war seit Beginn des Kalten Krieges ein politischer Ort: 1961 eine Militärparade der US-Streitkräfte, 1963 ein Triumphzug John F. Kennedys, Proteste gegen den Vietnam-Krieg, 1968 das Attentat auf Rudi Dutschke, Wortführer der Studentenbewegung. 1979 fand hier aber auch der erste Berliner Christopher Street Day statt. Im Hintergrund der Loveparade 1992 ist eine architektonische Ikone des modernen Wiederaufbaus vom Ku’damm zu sehen: das Kaufhaus Wertheim.10)


Kaffee, Bananen und Begrüßungsgeld

<p>Kaffee, Bananen und Begrüßungsgeld</p>
Kurfürstendamm nach Öffnung der Berliner Mauer am 11.11.1989
IMAGO / Sven Simon

Viele Ost-Berliner:innen hatten die Nacht vom Mauerfall am 9. November 1989 in den Straßen West-Berlins verbracht, konnten aber, als am nächsten Tag die Kaufhäuser und Cafés öffneten, mit der Ost-Mark nicht bezahlen. Daher organisierten die Anwohner:innen vom Ku’damm Kaffeestände und die Kaufhäuser gaben Tüten mit exotischen Früchten und Verpflegung aus.11) Der Mythos vom Ku’damm und dem West-Berliner Wirtschaftswunder machte den Boulevard zu einem Sehnsuchtsort der Ost-Berliner:innen.


„Totgesagt, dann lebte er“

<p>„Totgesagt, dann lebte er“</p>
Das Neue Kranzler Eck, 2009.
Foto: Manfred Brückels. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:KuDamm_Joachimstaler_Berlin_3.jpg. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die 1990er Jahre waren von Sorgen um die Zukunft des Ku’damms als Ikone West-Berlins geprägt, denn die neusten angesagten Orte lagen in den alten Ost-Berliner Bezirken.12) „Erst wurde er totgesagt, dann lebte er, dann wurde er wieder totgesagt, und so weiter“.13) Zwar schloss das Café Kranzler, Ikone der Wiederaufbau-Ära, aber Anfang der 2000er Jahre zogen Bekleidungsgeschäfte ins Erdgeschoss ein. Dahinter entstand ein Geschäfts- und Bürokomplex im Nachwendestil mit Glasfassade.14)


Bauprogramm für Ikonen

<p>Bauprogramm für Ikonen</p>
Das alte Ku’damm Eck fotografiert vom Café Kranzler,1993.
Foto: IMAGO / teutopress

Ob Europa-Center oder Kudamm Eck, in der Nachkriegszeit entstanden moderne Großbauten, die eine zeitgemäße Interpretation vom Mythos des progressiven Ku’damms der Zwanziger Jahre waren.15) Doch um die Jahrtausendwende wurden die weißen Kuben des Kudamm-Ecks als „Bausünde“ wahrgenommen und nach der Asbestsanierung abgerissen. Der Neubau erinnert in seiner Formensprache an das alte romanische Forum.


Autorin: Anna M. Weber, Sabrina Runge

Fußnoten

1): Karl-Heinz Metzger: Historie / 2. Kaiserreich, o.J., URL: http://www.kurfuerstendamm.de/berlin/historie/historie_kaiser/.

2): Katharina Palm, in: Prachtboulevard mit Geschichte. Die Lange Nach vom Kurfürstendamm, Deutschlandfunk, 17.7.2021, URL: https://assets.deutschlandfunk.de/FILE_6be9c396804ab35ae1bda5e0aa4ce49c/original.pdf, S. 38–39.

3): Karl-Heinz Metzger: Historie / 2. Kaiserreich, o.J., URL: http://www.kurfuerstendamm.de/berlin/historie/historie_kaiser/

4): Katharina Palm, in: Prachtboulevard mit Geschichte. Die Lange Nach vom Kurfürstendamm, Deutschlandfunk, 17.7.2021, URL: https://assets.deutschlandfunk.de/FILE_6be9c396804ab35ae1bda5e0aa4ce49c/original.pdf, S. 16.

5): ebd., S. 7–11 und 14–16.

6): Karl-Heinz Metzger: Historie/ 4. Nationalsozialismus, o.J., URL: http://www.kurfuerstendamm.de/berlin/historie/historie_nationalsozialismus/

7): Katharina Palm, in: Prachtboulevard mit Geschichte. Die Lange Nach vom Kurfürstendamm, Deutschlandfunk, 17.7.2021, URL: https://assets.deutschlandfunk.de/FILE_6be9c396804ab35ae1bda5e0aa4ce49c/original.pdf, S. 10.

8): Karl-Heinz Metzger: Historie / 6. Kalter Krieg, o.J., URL: http://www.kurfuerstendamm.de/berlin/historie/historie_kalter_krieg/.

9): Übersetzung von: Emily Pugh: Architecture, politics and identity in divided Berlin, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2014, S. 238.

10): Karl-Heinz Metzger, in: Historie / 7. Nach der Wende, o.J., URL: http://www.kurfuerstendamm.de/berlin/historie/historie_nach_der_wende

11): Katharina Ludwig, in: Gratis-Kaffee für Ost-Berliner nach dem Mauerfall, Der Tagesspiegel, 24.10.2014, URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/charlottenburg-wilmersdorf/wende-geschichte-vom-kurfuerstendamm-gratis-kaffee-fuer-ost-berliner-nach-dem-mauerfall/10874662.html; Tabea Mergenthaler, in: DDR-Bürger wollen ins KaDeWe, Deutsche Welle, 7.11.2019, URL: https://p.dw.com/p/3SbIY.

12): Wilfried Rott, in: Abschied von West-Berlin, Bundeszentrale für politische Bildung, 4.3.2010, URL: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32893/abschied-von-west-berlin/.

12): Katharina Palm, in: Prachtboulevard mit Geschichte. Die Lange Nach vom Kurfürstendamm, Deutschlandfunk, 17.7.2021, URL: https://assets.deutschlandfunk.de/FILE_6be9c396804ab35ae1bda5e0aa4ce49c/original.pdf, S. 52.

14): Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin (Hg.): Neues Kranzler-Eck, o.J., URL: https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/gebaeude-und-anlagen/geschaeftshaeuser/artikel.158742.php.

15): Pugh, Emily 2014. Architecture, politics and identity in divided Berlin. Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, S. 73.


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