Karl-Liebknecht-Stadion | Potsdam
Das Sportliche ist politisch
Was gibt es hier zu sehen?
Einen Sportplatz aus den 1920er Jahren, der in den 1970ern zum Stadion wurde.
Wie wird der Ort genutzt?
Seit über 100 Jahren trifft die Nachbarschaft sich hier zum Sport treiben und Fußball gucken.
Wer ist hier Zuhause?
Der 1. FFC Turbine Potsdam (Bundesliga) und der SV Babelsberg 03 (Regionalliga Nordost). Und natürlich ihre Fans.
Anpfiff
Seit dem 19. Jahrhundert gewann der aus England kommende Fußball in Deutschland als Freizeitsport an Popularität. 1903 gründete sich mit Jugendkraft Nowawes 03 der erste Fußballverein in Nowawes. Nach dem Ersten Weltkrieg vereinigte er sich mit dem FC Fortuna 05 und besteht als SV Babelsberg 03 bis heute. Im Jahr 1924, kurz nachdem Nowawes das Stadtrecht erhielt, genehmigte die Gemeinde den Bau eines Sportplatzes an der Priesterstraße, der heutigen Karl-Liebknecht-Straße. Bisher hatten die Sportler im angrenzenden Schlosspark gekickt. Zur Eröffnung 1925 spielte Jugendkraft 03 gegen den ebenfalls lokalen Verein Minerva Nowawes (10:1).
Traditionspflege
Dieser Glaspokal zeugt von der Geschichte des Fußballvereins Concordia Nowawes, der sich 1906 aus dem Nowaweser Arbeitermilieu gründete. Zeitweise spielte der Verein auf dem Sportplatz Priesterstraße. Der Pokal war Jahrzehnte im Besitz der Familie, die das Stammlokal des Vereins betrieb. Der löste sich auf und die Kneipe schloss, der traditionsreiche Ort blieb aber Heimstatt des Fußballs: Bis 2018 nutzte das Fanprojekt von 03 die Räume. Den Pokal stiftete die Familie schließlich dem Verein Concordia Nowawes zu seiner Neugründung 2006. Heute kann der fast vier Liter fassende Pokal im Stadtteilmuseum Weberstube besichtigt werden. Er steht exemplarisch für die Traditionspflege des Babelsberger Arbeiterfußballs.
Zwischen Rasen und Rathaus
Postkarten geben Aufschluss darüber, was als typisch für eine Stadt gilt. Diese Karte von Nowawes 1930 zeigt den Sportplatz und das Rathaus. Denn dort verordnete sich das „Rote Nowawes“, in dem auch die Fußballkultur von der kommunistischen Arbeiter:innenbewegung geprägt war. Mit ihrem Machtantritt 1933 überschrieben die Nazis dieses Bild. Nowaweser Kommunist:innen wurden politisch verfolgt. 1938 wurde Nowawes mit der Villenkolonie Neubabelsberg zusammengelegt und in Babelsberg umbenannt. 1939 wurde es schließlich in das bürgerliche Potsdam eingegliedert. Das „Rote Nowawes“ verschwand von der Landkarte. An der Priesterstraße rollte der Ball aber weiter. Die in „SV Babelsberg 03“ umbenannten 03er fügten sich schnell in das nationalsozialistische Gefüge ein und spielten erfolgreich in der Gauliga. Der Arbeiter:innenverein Concordia Nowawes wurde aufgelöst und als „gleichgeschalteter“ Vfl Eintracht 06 neugegründet. Schon seit 1934 war die Vereinsmitgliedschaft von Jüdinnen und Juden verboten.
Halbzeit: Verbot und Neubeginn
Noch im März 1945 spielten die sportlichen Rivalen SV Babelsberg 03 und Vfl Eintracht 06 ein sogenanntes Lokalderby (8:1). Nach dem Ende des Weltkrieges und unter sowjetischer Besatzung wurden alle Vereine aus der NS-Zeit aufgelöst. Der Spielbetrieb kam zum Erliegen. 1946 begannen Anwohner:innen, den beschädigten Sportplatz zu reparieren. 1947 folgte die Umbenennung nach dem Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Karl Liebknecht. Damit war der Fußball in Babelsberg in der neuen Ära der als sozialistisch postulierten Gesellschaft angekommen. Die ehemaligen Rivalen 03 und Eintracht wurden in der Betriebssportgruppe (BSG) Rotation Babelsberg zusammengefasst, die an den Betrieb der SED-Zeitung „Märkische Volksstimme“ angegliedert war. Als 1949 der Aufstieg in die neu gegründete DDR-Oberliga gelang, begann der Ausbau des Sportplatzes für einen größeren Publikumsbetrieb.
„Eines der modernsten und schönsten Fußballstadien der DDR“ 1)
In den 1970er Jahren beschloss die Stadt Potsdam den Bau eines städtischen Fußballstadions auf dem Karl-Liebknecht-Sportplatz. Der ehemalige Fußballer Klaus Gallinat erinnerte sich 2016 in einem Zeitungsartikel daran, dass alle Potsdamer Betriebe und sogar die in der Stadt stationierten sowjetischen Soldaten den Bau unterstützten. Das neue Stadion bot moderne Standards und Platz für 15.000 Zuschauer:innen. Das Eröffnungsspiel im Juli 1976 spielte Gastgeber Motor Babelsberg gegen die DDR-Olympiaauswahl. Die Potsdamer Fußballfanszene wuchs. Das Karl-Liebknecht-Stadion beherbergte Länderspiele der DDR-Nationalmannschaft und ihres Nachwuchses. Das Spiel der DDR gegen Malta 1977 (9:0) war sogar ausverkauft. Das Stadion strahlte als Treffpunkt über Babelsberg hinaus und prägte fortan die Wahrnehmung des Stadtviertels.
Weltpremiere
Im Mai 1990 fand im Karl-Liebknecht-Stadion das erste und einzige DDR-Länderspiel im Frauenfußball statt. Die Nationalmannschaft der DDR verlor gegen die Frauen der ČSSR mit 0:3. Die Spielerinnen hatten vor dieser Weltpremiere „richtig Schiss“2).Die Publikumsränge waren indes weitgehend leer. Das änderte sich jedoch bald: Der Frauenfußball blieb über die DDR hinaus in Potsdam und im Karl-Liebknecht-Stadion beheimatet. Ab Ende der 1990er Jahre avancierte der Fußballverein 1. FFC Turbine Potsdam mit mehreren Europapokalen und deutschen Meisterschaften zum europäischen Spitzenverein. Die Männer des wiedergegründeten SV Babelsberg 03 schafften indes zwischenzeitlich den Aufstieg in die 2. Bundesliga.
Geknickte Eintracht
Damit das Stadion für Bundesligaspiele tauglich wurde, brauchte es Flutlichter. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten des unmittelbar an das Stadion angrenzenden Schlossparks Babelsberg, die Denkmalbehörden und eine Bürgerinitiative protestierten jedoch gegen den Ausbau. Die Flutlichtanlage verstelle den Blick vom Flatowturm. Die Stadt musste sich entscheiden: Was ist typischer, oder: authentischer für Potsdam und hat somit Vorrang – der Aufstieg des Potsdamer Fußballs in die Bundesliga oder das UNESCO-Weltkulturerbe mit seinen Sichtachsen? Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Die im Jahr 2002 eingeweihten Flutlichter können abgeknickt werden, so dass sie nur während des Spiels weit über das Stadion hinausragen. Beigelegt ist der Streit aber nicht. Die einzigartige Konstruktion ist sehr anfällig und muss regelmäßig repariert werden, was immer wieder zu hohen Kosten und Baulärm führt. Auch an den Folgen des Spielbetriebes, den vielen Fans und dem Grillgeruch, stören sich manche Anwohner:innen.
Babelsberg im Ausnahmezustand, oder: das „St. Pauli des Ostens“ 3)
Überregional bekannt sind der SV Babelsberg 03 und sein Heimstadion für ihre Ultraszene, die sich überwiegend im linksalternativen Milieu verortet – ein Alleinstellungsmerkmal eines größeren ostdeutschen Vereins. Die Ultras prägen das Image von Babelsberg 03, das für Antifaschismus und Antirassismus stehe und oft mit dem Hamburger Fußball-Club St. Pauli verglichen wird. Zuletzt erhielt die von der Babelsberger Fankurve ins Leben gerufene Aktion „Nazis raus aus den Stadien“ viel Aufmerksamkeit. Sie war 2017 entstanden, aus der Erfahrung einer Konfrontation mit rechtsextremen Cottbuser Fans bei einem Spiel gegen Energie Cottbus. Die Spiele gegen Vereine mit rechter Fanszene versetzen den beschaulichen Babelsberger Kiez regelmäßig in einen Ausnahmezustand. Weiträumige Straßensperrungen und Polizeikontrollen sollen das Zusammentreffen der zum Teil gewaltbereiten Fangruppen verhindern und ein über dem Viertel kreisender Polizeihubschrauber zeigt dann auch allen Nicht-Fußballfans: heute ist wieder Spieltag.
Traditionell links
Viele 03 Fans sehen den Verein in der Nachfolge des proletarischen „Roten Nowawes“ und dem politischen Arbeiterfußball. Ihr Engagement prägt den Kiez: Mit Bildungsfahrten in KZ-Gedenkstätten, Zeitzeugen-Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden und Antirassismus-Workshops leisten sie politische Bildungsarbeit. Ihre historische Aufklärung über die Geschichte Babelsbergs im 20. Jahrhundert folgt dabei dem eigenen linken Traditionsverständnis. Ein Beispiel ist die 2010 von Babelsberg Ultras freigelegte Gedenktafel für Herbert Ritter am Weberplatz. Der Jungkommunist aus Nowawes war 1931 von einem SA-Mann ermordet worden. Gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten der Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN BdA) organisieren die Fans jährliche Gedenkveranstaltungen anlässlich seines Todestags.
„Bisschen marode, aber schön im Kiez. Und immer stimmungsvoll.“ 4)
Das liebevoll „Karli“ genannte kleine Stadion passt sich gut ein in die Beschaulichkeit des Kiezes. Hier treffen sich nicht nur eingefleischte Fußballfans, sondern auch Babelsberger:innen, die ihren Söhnen und Töchtern, ihren Bekannten und Freund:innen zujubeln und gemeinsam Zeit verbringen. Der Verein Babelsberg 03, der das Stadion betreibt, baut auf diese Vertrautheit zwischen Spieler:innen und Zuschauer:innen und betont das „Kiezgefühl pur“5), das sich hier einstelle. Kiezgefühl – das ist eine Umschreibung dafür, dass das Stadion als authentischer Ort in Babelsberg empfunden wird: Hier treffen sich die Menschen, die hier leben, hier fühlen sie sich zuhause und verbringen ihre Freizeit. Ohne das Karli würde Babelsberg etwas Typisches fehlen.
Autorin: Josephine Eckert
Fußnoten
1): Klaus Gallinat, in: Das Karl-Liebknecht-Stadion wird 90 Jahre alt, Potsdamer Neuste Nachrichten, 27.4.2016, URL: https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/tribunen-aus-holz-und-flutlicht-zum-umknicken-7188718.html.
2): Zitat Bernd Schröder in: Das einzige Länderspiel der DDR-Frauen: „Hatten richtig Schiss in der Hose, 1.11.2020, URL: https://www.sportfrauen.net/50-jahre-frauenfussball/das-einzige-laenderspiel-der-ddr-frauen-hatten-richtig-schiss-der-hose.
3): Johannes Kopp, in: Stammplatz links außen, taz – die Tageszeitung, 11.5.2011, URL: https://taz.de/St-Pauli-des-Ostens-SV-Babelsberg-03-und-seine-Fans/!5120929/.
4): Sabine Schicketanz und Peter Könnicke, in: Streit ums Karl-Liebknecht-Stadion, Der Tagesspiegel, 30.1.2015, URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/babelsberg-03-will-nicht-mehr-im-karli-spielen-5448862.html.
5): Website des Fanprojekts Babelsberg 03, URL: https://babelsberg03.de/verein/unser-stadion/fakten/.