Gedächtniskirche | Berlin
Eine Kirche in drei Akten: Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche prägt das Berliner Stadtbild seit über 100 Jahren.
Wer baute hier?
Den Altbau baute Franz Schwechten, den Neubau Egon Eiermann.
Wann wurde hier gebaut?
Der Altbau entstand 1891 bis 1895, der Neubau 1957 bis 1963.
Wie wird der Ort genannt?
Offiziell heißt die Kirche Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Sie wird aber auch nur Gedächtniskirche genannt, denn heute erinnert sie nicht mehr an den Kaiser, sondern an Krieg und Zerstörung
„Unser Heldenkaiser“
Der Bau der Gedächtniskirche hatte nationale und patriotische Symbolkraft. Kaiser Wilhelm II. schuf mit der Kirche eine Gedenkstätte für seinen Großvater Wilhelm I., die auch dessen Namen trug: „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“. Sie wurde am 1. September 1895 eingeweiht, begleitet von tagelangen Gedenkfeiern an den deutschen Sieg im deutsch-französischen Krieg 1870/71 und die Reichsgründung.
„Berlin“
Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war das Zentrum des mondänen Berliner Westens, touristisches Ausflugsziel und Postkartenmotiv. In direkter Umgebung befand sich mit dem Ku’damm das berühmte Konsum- und Vergnügungsparadies Berlins. Diese Postkarte stammt aus der Zeit vor 1920.
„Mama in Berlin“
Die Privataufnahme zeigt eine Touristin in Berlin während des Zweiten Weltkriegs. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche im Hintergrund des Fotos dient als Beleg für den Besuch der Stadt
„Als die Gedächtniskirche in Trümmern lag“
1945 lag Berlin in Trümmern, ebenso die Gedächtniskirche. Angesichts der Zerstörung eines Machtsymbols des alten Regimes und autoritären Geistes des Kaiserreichs verkündete die Ruine einen Neustart. Der Westberliner Senat lehnte daher Pläne für einen Wiederaufbau ab. Das Foto zeigt den Blick aus der Tauentzienstraße 1945.
„… immer in der Hoffnung, wir kriegen sie wieder.“
Als bekannt wurde, dass die Kirchruine abgerissen werden sollte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Bevölkerung machte deutlich: Die Gedächtniskirche wurde ungeachtet ihrer Vergangenheit geliebt, sie war ein Westberliner Identitätsanker (Wagner-Kyora). In einer Umfrage des Tagesspiegels von 1957 sprachen sich 92 % für den Erhalt der Turmruine aus. Diese Zuschlagbriefmarke von 1953 zeugt von dem Versuch einer alternativen Finanzierung des Wiederaufbaus.
„(…) Stellen Sie sich vor, diese Kirche wäre also von Berlin nicht akzeptiert worden – die Gefahr hat doch sehr nahe gelegen – dann wäre doch eine Katastrophe geschehen, die ich allein zu verantworten gehabt hätte.“1)
1957 gewann Egon Eiermann den Architekturwettbewerb für einen Neubau der Gedächtniskirche. Der Architekt war für seine geometrischen Formen und modernen Interpretationen bekannt. Er plante, die Kirchruine abzureißen. Nach Protesten beugte er sich jedoch dem Druck der Öffentlichkeit. Der zerstörte Kirchturm blieb Teil des Ensembles. Das Foto zeigt Eiermann vor einem Modell 1961. Das Zitat verweist auf seine Einsicht, dass der Erhalt für Berlin wichtig war.
„Auf der einen Seite modern zu sein – mit moderner Architektur, das war damals ein Bedürfnis, und auf der anderen Seite die Geschichte noch in Erinnerung zu behalten als Fragment, (…) als Zeichen für eine gebrochene Geschichte.“2)
Der Bauhistoriker Johannes Cramer beschreibt in diesem Zitat den Kompromiss zwischen dem Architekten und der Bevölkerung, zwischen Moderne und Historie, der für den Bau der Gedächtniskirche getroffen wurde. Das Foto zeigt die Baustelle vor der Turmruine 1958.
Blick zurück, Blick nach vorn
Im 1961 fertig gestellten Ensemble wurde die Turmruine zum Zeugnis und Mahnmal für einen verheerenden Krieg. Der Neubau hingegen stand symbolisch für den Aufbruch Westberlins in der Nachkriegszeit.
„Meine neue Kirche könnte in jeder Stadt stehen, aber mit der Turmruine verbunden ist sie ein einmaliges, nur in Berlin mögliches Bauwerk.“3)
Nach kurzer Zeit galt der Neubau für Tourist:innen und Berliner:innen als genauso authentisch „berlinerisch“ wie der Altbau. Das zeigt sich beispielsweise an spöttischen und liebevollen Spitznamen wie „hohler Zahn“. Auch der Name „Lippenstift und Puderdose“ ist geläufig, ist aber wohl eher eine Produktion der Tourismusindustrie als ein Original der „Berliner Schnauze“4). Darin zeigt sich, wie die Kirche bewusst „berlinerisch“ authentisiert werden sollte.
Ob auf der Zigarettendose …
Diese Zigarettendose von 1987 strotzt nur so von Westberliner Ikonen. Sie zeigt den gelben Doppelstockbus, die U-Bahn-Station Kurfürstendamm und, prominent im Fluchtpunkt, die Gedächtniskirche. Das Souvenir zeigt das Zentrum Westberlins und die Gedächtniskirche als architektonischen Mittelpunkt.
… oder auf dem Stoffbeutel.
Die Gedächtniskirche ist so „typisch Berlin“, dass sie auch in der Marketingstrategie der Stadt zu finden ist. Stoffbeutel, Pullis oder T-Shirts mit einer abstrahierten Zeichnung der Kirche dienen als wandelnde Werbeflächen. Daran zeigt sich: Ikonen entstehen nicht einfach so, sie werden gezielt zu Ikonen gemacht, zum Beispiel im Stadtmarketing.
Autorin: Josephine Eckert
Fußnoten
1): Egon Eiermann zitiert nach Christian Berndt, in: Abriss oder Rekonstruktion?, Deutschlandfunk, 9.5.2009, URL: https://www.deutschlandfunk.de/abriss-oder-rekonstruktion-100.html.
2): Johannes Cramer, in: Berndt: Abriss oder Rekonstruktion?, Deutschlandfunk, 09.05.2009, URL: https://www.deutschlandfunk.de/abriss-oder-rekonstruktion-100.html.
3): Egon Eiermann zitiert nach Uwe Oster, in: Rettet den Turm!, DAMALS, 21.2.2001, URL: https://www.wissenschaft.de/magazin/weitere-themen/rettet-den-turm/.
4): Andreas Conrad, in: Spitznamen in Berlin – Sagt hier irgendjemand Telespargel?, Tagesspiegel, 31.10.2013, URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/spitznamen-in-berlin-sagt-hier-irgendjemand-telespargel/9007680.html.