Altstadtviertel „Le Panier“ | Marseille
Das Viertel Le Panier gilt als ältester Stadtteil von Marseille. Die engen Gassen und historischen Gebäude geben dem Viertel den Charakter eines mediterranen Dorfes.
Wo befindet sich das Panier-Viertel?
Die „Wiege von Marseille“ ist im Stadtzentrum direkt am Meer zwischen altem und neuem Hafen.
Was macht den Panier so besonders?
Als eines der wenigen Stadtviertel Marseilles ist der Großteil des historischen Baubestands erhalten geblieben.
Welchen Eindruck vermittelt der Panier?
Früher als Hafenviertel stark von Immigration geprägt, ist der Panier heute ein touristisches Viertel.
Populäres Hafenviertel
Das Panier-Viertel gilt als Gründungsort Marseille, das bereits von den griechischen Phokäern im 6. Jahrhundert v. Chr. besiedelt wurde. Zwischen Meer und dem Hügel Saint-Laurent entstand ein dicht besiedeltes Viertel mit engen, steilen Treppen und schmalen Häusern. Die Nähe zum Hafen führte dazu, dass das Viertel stark von Migration geprägt war. Auf die Zuwanderung aus Italien Ende des 19. Jahrhunderts folgten in der Zwischenkriegszeit Menschen aus Korsika und Spanien, nach dem 2. Weltkrieg aus dem Maghreb, Komoren und Südostasien. Der Austausch verschiedener Generationen und Nationen, etwa beim gemeinsamen Wäschewaschen, sei bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts typisch für das „alte Marseille“ gewesen.1)
Sprengung im Zweiten Weltkrieg
Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts galt der südliche Teil des Panier-Viertels am alten Hafen als kriminell, unhygienisch und unsicher. Pläne aus den 1930er Jahren das Viertel am alten Hafen zu zerstören, wurden nicht verwirklicht. Für die deutsche Besatzungsmacht, die seit 1942 Marseille besetzte, galt das Hafenviertel als „Verbrecherviertel“ und Hort des Widerstands. Das Viertel sollte daher von Wehrmacht und SS in Zusammenarbeit mit der französischen Polizei kontrolliert, evakuiert und anschließend gesprengt werden. Im Januar 1943 wurden 20.000 Personen aus dem Hafenviertel evakuiert, worunter rund 1.600 Personen weiter nach Compiègne deportiert wurden. Im Februar 1943 sprengten deutsche Wehrmachtseinheiten 1.500 Gebäude des Hafenviertels. Propaganda-Kompagnien der Wehrmacht fotografierten die Razzien und Sprengung des Hafenviertels, das erst in den 1950er Jahren wiederaufgebaut werden sollte.2)
Verfall und neue Immigration
Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel das Panier-Viertel. Die Zahl der Einwohner halbierte sich zwischen den 1960er und 1980er Jahren. Kriminelle Gruppen wie die Salvati-Bande tauchten im Panier unter. Rund 20 Prozent der Wohnungen standen in den 1980er Jahren leer. Während Familien das Viertel verließen und Senior:innen zurückblieben, zogen Migrant:innen aus dem Maghreb, Südostasien und den Komoren in die freigewordenen Wohnungen ein. In den Augen der Stadtverwaltung waren die alten Häuser zu einem Sozialbau geworden, zur Unterbringung der Allerärmsten.3)
Sanierung mit Hindernissen
Der Panier war bereits 1955 als Sanierungsgebiet ausgewiesen worden. Erst ab 1970 wurde das Viertel jedoch als eines der wenigen Viertel im Stadtzentrum saniert. Hintergrund war die Transformation von Marseille zu einer Kulturstadt, welche historisches Bauerbe und Museen im Zentrum nun in Wert setzen wollte. Die Rue du Refuge war einer der ersten renovierten Straßen, die als Vorzeigeprojekt die Bewohner:innen von der Sanierung überzeugen wollten. Die Sanierung des Panier-Viertels dauerte aufgrund der Skepsis der Eigentümer:innen, fehlender finanzieller Mittel, ungeklärter Besitzverhältnisse und der unzugänglichen Straßen bis in die 1990er Jahre. 1990 war rund ein Viertel aller Wohnungen im Viertel saniert worden.4)
Vom Armenhospiz zum Museum
Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Panier-Viertels ist das Armenhospiz „Vieille Charité“ im Norden des Viertels. Das Armenhospiz aus dem 17. Jahrhundert, das in der Nachkriegszeit als teils illegaler Wohnraum für die bedürftige Bevölkerung gedient hatte, wurde ab 1968 saniert. Um ein „authentisches“ Erlebnis zu garantieren, wurden Gebäude vor dem Hospiz abgerissen, um einen weiten Platz mit einem freien Blick auf das Hospiz zu schaffen. 1986 wurde es als Museum, Forschungs- und Kulturzentrum eröffnet. Als Leuchtturmprojekt sollte es das Bild vom Panier-Viertel radikal verändern.
Historische Insel in der modernen Stadt
Wie eine historische Insel in der modernen Großstadt ist der Panier heute mit seinen schmalen Gassen, pittoresken Plätzen und historischen Gebäuden das mediterrane Dorf von Marseille. Nach Jahrzehnten des Verfalls sei der Panier ein „historischer Ort mit authentischen Bauerbe wieder ein Viertel, wo man gerne lebt“.5) Seit den 2000er Jahren ist der Panier zu einem der attraktivsten Viertel für Tourist:innen in Marseille geworden, wo man lokale Produkte erwerben und inmitten der Großstadt die Atmosphäre eines mediterranen Dorfs erleben kann. Die Gentrifizierung führt zugleich nach und nach zu einem Wechsel der Bewohner:innen.
Ort der Kreativität
Heute befinden sich im Panier-Viertel zahlreiche Galerien, Boutiquen oder Museen. Blumentöpfe und Wäsche geben dem Viertel eine historische Atmosphäre, die als Filmkulisse von provenzalischen Filmen wie „Le Temps des Secrets“ oder Filmserien wie „Plus belle la vie“ dient. Seit einige Jahren ist der Panier auch für Graffiti und Street art bekannt. Lokale wie internationale Künstler:innen lassen sich vom Panier-Viertel und dem Hafen inspirieren.
Autor: Daniel Hadwiger
Fußnoten
1) AD BdR, 1447 W 31. OPAH, Recensement général de la population, 1983, S. 26.
2) Ahlrich Meyer: Die Razzien in Marseille 1943 und die Propagandaphotographie der deutschen Wehrmacht, in: Francia 22 (1996), S. 127–154, hier S. 127.
3) Archives municipales Marseille, 1236 W 102. Étude de réalisation d’OPAH. Bilan social, Mai 1982, S. 4.
4) Archives de la Ville de Marseille, 1236 W 113. Ville de Marseille, La réhabilitation du Panier, Marseille 1990, S. 13.
5) Archives de la Ville de Marseille, 1236 W 113. Ville de Marseille, La réhabilitation du Panier. Histoire et procédures, Marseille 1990, S. 14.