ICC | Berlin
„Spacy“ wäre wohl die treffendste Beschreibung für die technoide Architektur des ICC: Bizarr, exzentrisch und irgendwas mit Weltraum.
Wer plante hier?
Das junge Architekt:innenehepaar Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler.
Wann wurde hier gebaut?
1975 bis 1979. Das ICC war die größte und teuerste Baustelle im Westberlin der Nachkriegszeit.
Wer nutzte das Kongresszentrum?
Internationale Kongresse, Messen oder Parteitage fanden hier statt. Auch für Konzerte, Festakte oder Bälle wurden die Räume genutzt.
Der „lange Lulatsch“
Nach Kriegsende wurde das beschädigte Messegelände in Charlottenburg wieder aufgebaut. Auch der Funkturm wurde erneuert. Weithin sichtbar, war der „langer Lulatsch“ genannte Turm schon in den 1920er Jahren zu einem Berliner Wahrzeichen geworden. Die Berliner:innen bezogen sich auf den Turm, wenn sie die Messe meinten: Sie nannten sie „Ausstellungen am Funkturm“.
Symbol des Aufschwungs
In den 1960er Jahren entschied der Westberliner Senat den Standort zur größten Messe Westdeutschlands zu erweitern. Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler gewannen die Ausschreibung für den Bau eines neuen Kongresszentrums. Das Projekt wuchs und wuchs. So wurde es das ICC das größte und teuerste Westberliner Bauvorhaben der Nachkriegszeit.
„Sind Sie denn bekloppt?“¹)
Das ICC war eine Baustelle der Superlative: 120.000 Kubikmeter Beton, 57.000 Kilometer Stahlbewehrungen, 1.000 Kilometer Elektrokabel und 17.000 Leuchten wurden zwischen 1975 und 1979 verbaut. Politisch war der Bau umstritten. „Mein Gott. Sind Sie denn bekloppt?“ soll der CDU-Fraktionschef den Berliner Bausenator von der SPD gefragt haben.
„Echt Berlinerisch“
Entwurf und Bau waren eine technische Herausforderung. Denn als „Haus im Haus“-Konstruktion schweben die riesigen Räume ohne eine direkte Verbindung zur Außenhülle, wodurch Verkehrslärm und Erschütterungen abgedämpft werden. Außerdem befindet sich zwischen Saal 1 und 2 eine Drehbühne; eine Hebetribüne lässt in Saal 2 die Sitzreihen in der Decke verschwinden und macht aus ihm einen Ballsaal. In einem Werbevideo präsentierte die am Bau beteiligte STRABAG stolz das Gebäude: „Berlin ist auf den Ansturm vorbereitet, auf seine Weise, auf echt berlinerische Weise.“
„Dennoch weiß man den Bau nicht zu bestimmen. Ist er Architektur? Gerät? Instrument? Maschine?“ (Leserbrief, Bauwelt, 1979)²)
Die Gestaltung des ICC betonte seine Funktionalität, seine technische Ausstattung und seinen zukunftsgewandten Charakter. Statt Bauelemente zu verschleiern, entschied sich das Architekturteam dafür, sie in Szene zu setzen. Diese Ästhetik wurde im Space Age mit Raumfahrt und Science-Fiction-Filmen assoziiert. Der Runde Saal könnte ebenso gut der Kontrollraum eines Raumschiffes sein.
Das Raumschiff
Von innen wie von außen mutete der Bau futuristisch an. Eine Architektur, die irritierte. Spitznamen wie „Autobahnschnalle“, „Panzerkreuzer Protski“, „Raumschiff“ oder „Ungeheuer“ zeugen jedoch auch von der Popularität des Gebäudes.
„Berlin hat eben doch noch Bedeutung!“³)
Wer über die Transitstrecke nach Westberlin fuhr und den Kontrollpunkt Dreilinden passierte, fuhr über die AVUS-Autobahn in die Stadt. Der Blick fiel dann direkt auf das monumentale Kongresszentrum. Das ICC symbolisierte das aufblühende Westberlin und die Überlegenheit der Marktwirtschaft während der Teilung der Stadt im Kalten Krieg. Es war eine Antwort auf den wenige Jahre zuvor errichteten Palast der Republik im Ostteil der Stadt.
Alte und neue Ikonen
Die Brücke, die die alte und die neue Messe über die Straße hinweg verbindet, hat neben ihrer pragmatischen auch eine symbolische Bedeutung. Sie verbindet gleichsam historische Architektur mit zeitgenössischer Moderne und schafft die räumliche Nähe zum bekannten Berliner Wahrzeichen Funkturm. Sie überbrückte die Distanz zwischen den verschiedenen Architekturen und Bauzeiten, wodurch das ICC zu einem Teil des älteren, schon anerkannten Bau-Ensembles wurde.
Vergangene Zukünfte
Welche Gebäude sind historisch und welche nicht? Manche Berliner:innen favorisierten in den 2000er Jahren den Abriss, andere forderten den Denkmalstatus für das Gebäude, das vom Aufbruchs- und Fortschrittsglauben seiner Epoche zeugt. Im Jahr 2019 wurde es schließlich unter Denkmalschutz gestellt. Damit bleibt die Zukunft, wie sie sich in den 1970er Jahren vorgestellt wurde, als Bauerbe auch weiterhin erhalten.
„Ick hab Dir lib, mein ICC“
Nach fast 35 Jahren erfolgreichem Betrieb schloss das ICC 2014. Das Gebäude war sanierungsbedürftig, doch es hatte sich kein Investor gefunden. Der Abschiedsgruß auf den Faltblatttafeln des Eingangs bezeugt: Es hat nicht nur für die Stadtgeschichte Bedeutung. Unzählige Personen aus aller Welt verbinden persönliche Erinnerungen mit dem Erlebnis eines Messe- oder Konzertbesuchs im ICC.
Retroschick
Das „Berlin Vintage Travel Poster“ zeigt das ICC als Weltraumarchitektur. In der linken oberen Ecke ist Sputnik zu sehen, den die Sowjetunion 1957 als ersten Satelliten überhaupt ins All schoss. Das ICC öffnete jedoch erst 1979 – und in Westberlin. Das Poster vereint beides und zeigt somit, dass, ungeachtet der politischen Lager im Kalten Krieg, die Architektur des Space Age heute retro und vintage und das ICC Deko für das Wohnzimmer ist.
SUN MACHINE IS COMING DOWN
2021 wurde das ICC noch einmal für Publikum geöffnet und diente den Berliner Festspielen als Projektbühne. Das Motto: Das ICC als gestrandetes Raumschiff, in dem es andere Welten zu entdecken gibt. Diese Inszenierung gab einen neuen Blick auf das ICC frei. Schon das Titelbild machte deutlich, wie in anderen Darstellungen häufig nur die oberirdische „Spitze des Eisbergs“ gezeigt wird. Freigelegt von seiner Umgebung und losgelöst schwebend, wurde das Gebäude in der Inszenierung selbst zum Kunstwerk.
Autorin: Josephine Eckert
Fußnoten
1) Zitat: CDU-Fraktionschef Heinrich Lummer gegenüber Finanzsenator Dr. Klaus Riebschläger (SPD), zitiert aus: Für Berlin eine »Halle Größenwahn«?, in: Der Spiegel, 4.3.1979, Link: https://www.spiegel.de/kultur/fuer-berlin-eine-halle-groessenwahn-a-20e59470-0002-0001-0000-000040350729.
2) Zitat aus: Ulrich Conrads: Ein Bau Namens ICC, in: Bauwelt (17), 1979, S. 677.
3) Zitat: Nikolaus Bernau, in: ICC Berlin unter Denkmalschutz, Gespräch mit Karin Fischer, Deutschlandfunk, 4.9.2019, Link: https://www.deutschlandfunk.de/icc-berlin-unter-denkmalschutz-ein-grossartiges-kunstwerk-100.html.