Waldbühne | Berlin

Titelbild des Steckbriefs für Waldbühne | Berlin
Großkonzerte umgeben von Naturidylle – die Waldbühne steht für NS-Architektur und Germanenkult, legendäre Rockkonzerte und Klassik Open Airs.
Foto: IMAGO / Panthermedia

Von der Naziarena zur Rockbühne

Wann wurde hier gebaut?

1934 bis 1935. Eine große Sanierung folgte auf die Randale beim Stones-Konzerts in den 1960er Jahren.

Wann wurde es errichtet?

Wer spielt(e) hier? Theater, Klassik, Comedy, Rock, Pop, Schlager, Festivals … eigentlich alle.

Wer besucht(e) die Bühne?

Das Publikum ist genauso bunt gemischt wie die Künstler:innen.

Die Berliner Waldbühne entstand 1936 für die Olympischen Spiele in Berlin. Unter dem Motto „Spiele des Friedens“ gelang es Nazideutschland sich selbst zu inszenieren und eine faszinierte Weltöffentlichkeit über seine Absichten zu täuschen. Die monumentale Architektur des Olympiageländes und die Kunst am Bau verbanden Sport und Körperkult mit der rassistischen NS-Ideologie. Nach Kriegsende wurde die Freilichtbühne zur Eventlocation der Hoch- und Subkultur. Mit einem neuen Namen wurden Erinnerungen an Nazipropaganda und Fackelmärsche überschrieben. Die Waldbühne wurde zu einem (West-)Berliner Konzertstättenmythos. Die architektonischen Spuren der NS-Propaganda sind bis heute in die Gebäude eingeschrieben, Formen der Vergemeinschaftung haben sich je nach Nutzung gewandelt. Die Veranstalter:innen hingegen locken mit der idyllischen Lage und der ungewöhnlichen Architektur jährlich tausende Besucher:innen an während die NS-Geschichte weitgehend ausgeblendet wird.

Themen der Authentisierung: AuthentizitätskonflikteVermarktung

Dietrich-Eckart-Freilichtbühne

<p>Dietrich-Eckart-Freilichtbühne</p>
Die Dietrich-Eckart-Freilichtbühne kurz vor ihrer Fertigstellung, 1935.
Foto: BArch Bild 102-17105 / Pahl, Georg

Die Freilichtbühne liegt in einem natürlichen Talkessel, an dessen Hang die steilen Publikumsränge gebaut wurden. Eingebunden in diese landschaftlichen Gegebenheiten, wurde sie als sogenannter Thingplatz angelegt, womit an vermeintlich uralte germanische Traditionen angeknüpft wurde. Die Bühne trug den Namen des antisemitischen Dichters und ersten Chefredakteurs der NSDAP-Zeitung »Völkischer Beobachter«, Dietrich Eckart, der Hitler in den frühen 1920er Jahren als Mentor gedient hatte.


„Selbst der heilige Ölbaum am Eingang zum Tempel (…) hat seine Wiederkehr gefunden in der kraftvollen Eiche, die (…) zukünftig die Kränze für die Sieger der deutschen Kampfspiele spenden wird.“1)

<p>„Selbst der heilige Ölbaum am Eingang zum Tempel (…) hat seine Wiederkehr gefunden in der kraftvollen Eiche, die (…) zukünftig die Kränze für die Sieger der deutschen Kampfspiele spenden wird.“<sup>1)</sup></p>
Bild: Postkarte vom Reichssportfeld, ca. 1936.
Foto: Scan vom Original

Programmatisch ist die Architektur der Bühne sowie des gesamten Olympiageländes an die Sportstätten des antiken Griechenlands angelehnt. Der Architekt Werner March behauptete mit dem Reichssportfeld einen „frei aus dem lebendigen Bedürfnis der deutschen Gegenwart ohne Anlehnung an historische oder ausländische Vorbilder [geformten] Organismus“ geschaffen zu haben, der dem ursprünglichen Olympia allerdings „wesensverwandt“ sei. Beispielshalber sei das Maifeld als forum, die Langemarckhalle als templon und die Freilichtbühne als theotron angelegt. March authentisiert mit diesen Aussagen die nationalsozialistische Selbstdarstellung in der Architektur über historische Bezüge zur Antike.


Bühne für mehr

<p>Bühne für mehr</p>
Titelblatt Die Neue Linie, 7. Jg. Berlin / Leipzig (Verlag Otto Beyer) 1935/36, Heft 10, Juni 1936.
Foto: Scan vom Original

Das selbstdarstellerische Konzept der Olympischen Spiele 1936 reichte über den sportlichen Wettkampf hinaus. Die Spiele waren in die Propaganda der Nazis eingebunden, die alle Lebensbereiche umfasste. Im Juni 1936 zierte die Freilichtbühne das Lifestylemagazin „die neue linie“ (1929 – 1943), das Modelinien, Reiseziele und Architektur für ein trendbewusstes deutsches Publikum thematisierte. Germanen-Mythos inklusive.


„… eine Stimmung zu evozieren, die in ihrer Mystik, in ihrem weihevollen Charakter, die Zuschauer fasziniert (…) und zusammenbindet“2)

<p>„… eine Stimmung zu evozieren, die in ihrer Mystik, in ihrem weihevollen Charakter, die Zuschauer fasziniert (…) und zusammenbindet“<sup>2)</sup></p>
Foto eines Theaters in der Freilichtbühne, 1934.
Foto: Architekturmuseum der TU Berlin, Inv. Nr. F 5380 / Fotograf: Charlotte Ruhrbach URL: https://doi.org/10.25645/2aq7-26sb

Die Gestaltung der Bühne ist in die sogenannte Thingstätten-Bewegung der NS-Kulturpolitik der frühen 1930er Jahre einzuordnen. Der Name Thingstätten ist von den Versammlungsorten germanischer Stämme abgeleitet. In der NS-Zeit wurden Freilichtbühnen in Anlehnung an Thingstätten gebaut, in denen vor einer natürlichen Kulisse ein besonders authentisches „Volkstheater“ inszeniert und die germanischen Ursprünge eines – in Wirklichkeit recht diversen – „deutschen Volkes“ beschworen wurden.


Umwidmung

<p>Umwidmung</p>
Boxkampf Dietrich Hucks vs. Fritz Gahrmeister, Juni 1947.
Foto: BArch Bild 183-1982-1013-501 / ohne Angabe

Auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes wurde die Freilichtbühne für Events genutzt. Das Foto zeigt einen Boxkampf auf der Bühne im Juni 1947. Auch die deutsche Boxlegende Max Schmeling boxte mit 41 Jahren auf der Berliner Waldbühne seinen letzten Kampf. Die neue Nutzung überschrieb alte Erinnerungen an die Bühne.


„Die härteste Band der Welt“

<p>„Die härteste Band der Welt“</p>
Die Rolling Stones mit Polizeischutz auf der Bühne, 15. September 1965.
Foto: bpk / Alexander Enger

Als legendär ist vielen Berliner:innen das Konzert der Rolling Stones auf der Waldbühne 1965 in Erinnerung geblieben. Die „härteste Band der Welt“, wie die Bravo sie bewarb, spielte vor über 20.000, schon im Vorfeld aufgepeitschten, jungen Fans. Unter Polizeischutz spielten die Stones nur wenige Songs auf der Bühne. Anschließend brach eine Randale los.


„…als tausende jugendliche Beat-Fans der Massenpsychose verfielen“

<p>„…als tausende jugendliche Beat-Fans der Massenpsychose verfielen“</p>
Zerstörte Zuschauerränge nach dem Konzert der Rolling Stones, 15. September 1965.
Foto: bpk / Alexander Enger

Die enttäuschten Fans zertrümmerten die Waldbühne und lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Das Konzert ging als urban legend in die Geschichte der Berliner Subkultur ein und gilt als ein Startpunkt der 68er-Bewegung. Die Freilichtbühne blieb für einige Jahre geschlossen und musste aufwendig saniert werden.


Open Air-Klassik

<p>Open Air-Klassik</p>
Publikum bei einem Benefizkonzert des West-Eastern Divan Orchestra in der Berliner Waldbühne am 21. August 2011.
Foto: BArch, B 145 Bild-00245994 / Krünkelfeld, Ole

Die heute Waldbühne genannte Freilichtbühne hat sich als Eventlocation in der Berliner Kulturszene etabliert. Besonders von den höchsten Rängen wird nicht nur das Bühnengeschehen, sondern auch die Architektur zum Schauspiel, wie dieses Foto eines klassischen Konzerts von 2011 zeigt. Dass diese ihren Ursprung in der nationalsozialistischen Thingstätten-Bewegung hat, wird nur selten thematisiert. Das charakteristische weiße Zeltdach, das als architektonische Überschreibung dieses Germanen-Kults gelesen werden kann, wurde in den 1980er Jahren ergänzt.


„It’s good to be back“

<p>„It’s good to be back“</p>
Die Rolling Stones auf der Waldbühne, 3. August 2022.
Foto: IMAGO / Future Image

Das Bühnenprogramm ist bunt gemischt: Klassik, Schlager, Rock und Pop, Comedy-Shows und Filmvorführungen. Auch die Rolling Stones sind seit den 1980er Jahren mehrfach auf die Waldbühne zurückgekehrt, allerdings ohne vergleichbare Skandalauftritte. Zuletzt spielten sie im August 2022 anlässlich ihres 60-jährigen Bestehens auf der Waldbühne. Das legendäre Konzert von 1965 wurde nicht nur in der medialen Berichterstattung aufgegriffen, auch die gealterten Musiker selbst machten Anspielungen: „(…) Man weiß nie, was passiert.“3)


„Weg mit diesen Skulpturen!“

<p>„Weg mit diesen Skulpturen!“</p>
Relief „Heldenehrung“ am Eingang zur Waldbühne, 2023.
Foto: Sabrina Runge Lizenz: CC BY-SA 4.0

Das Welt- und Menschenbild der Bauherren ist nach wie vor in das Ensemble eingeschrieben. Am Eingang zur Bühne befinden sich zwei Reliefs von Adolf Wamper, die jeweils zwei nackte Männer („Heldenehrung“) und Frauen („Poesie“) zeigen. In den Figuren heroisierte Wamper arisierte Körper und ihre sportliche Kraft. Es ist eines von vielen Kunstwerken auf dem Olympiagelände. um die immer wieder gestritten wird. Zuletzt entfachte die Forderung „Weg mit diesen Skulpturen!“ des ehemaligen Berliner Bausenators Peter Strieder erneut die Debatte um eine Entfernung der Kunst auf dem eigentlich denkmalgeschützten Areal. Derzeit wird die Geschichte der Bauten lediglich durch einige Informationstafeln kontextualisiert.


„Eine der schönsten Open Air Bühnen Europas“4)

<p>„Eine der schönsten Open Air Bühnen Europas“<sup>4)</sup></p>
Logo der Waldbühne.
URL: https://www.berlinstadtservice.de/xinh/Waldbuehne_Tickets.html Lizenz: public domain

Seit 1982 ziert das charakteristische weiße Zeltdach die Waldbühne und ist zu ihrem markantesten Merkmal geworden. Obwohl die Bühne gerade durch den umliegenden Wald ihren besonderen Charakter erhält, authentisiert das Logo die Waldbühne nicht über ihren Naturbezug. Stattdessen ist das weiße Zeltdach prominent zu sehen, während die Ränge nur angedeutet sind. Damit distanzieren sich die Veranstalter:innen von der nationalsozialistischen Vergangenheitslast und betonen die Umwidmung der Bühne nach dem Krieg.


Autorin: Josephine Eckert

Fußnoten

1): Werner March, Charlotte Rohrbach: Bauwerk Reichssportfeld, 1936, S. 13. URL: https://diglib.tugraz.at/download.php?id=4d89fef83f520&location=browse

2): Zitat: Dieter Nägelke, Leiter des Architekturmuseums Berlin, über das Foto, in: Interview mit Dr. Hans-Dieter Nägelke, Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin zum Nachlass des Architekten Werner March und der Geschichte des im Nationalsozialismus als Thingstätte erbauten heutigen Waldbühne in Berlin, 2020, URL: Waldbühne Berlin Architektur – Thingstaetten.

3): Zitiert nach Johannes Malinowski, in: Die Rolling Stones bringen die Waldbühne zum Beben, B. Z., 3.8.2022, URL: https://www.bz-berlin.de/berlin/charlottenburg-wilmersdorf/die-rolling-stones-bringen-die-waldbuehne-zum-beben.

4): Zitat aus: https://www.berlinstadtservice.de/xinh/Waldbuehne_Tickets.html


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