Haus der Kulturen der Welt | Berlin
Authentisch nur mit Dach
Wo wurde gebaut?
Die Kongresshalle steht in Berlin-Tiergarten, nur wenige Meter von der einstigen Grenze zu Ost-Berlin entfernt.
Wieso wurde gebaut?
Für die Internationale Bauausstellung „Interbau 57“ in West-Berlin 1956/57.
Wer baute hier?
Der Architekt Hugh A. Stubbins im Auftrag der USA.
Stadt von Morgen
1957 fand in West-Berlin eine Internationale Bauausstellung (IBA) statt, ein Sonderformat der Stadtentwicklung, das der Demonstration neuer Ideen und Impulse in Architektur und Städtebau dient. Die „Interbau 1957“ widmete sich vornehmlich dem Wiederaufbau des Hansaviertels und präsentierte dabei mit der Sonderausstellung „stadt von morgen“ auch ein gesellschaftliches Gegenmodell zur historisierenden Architektur der Stalinallee in Ost-Berlin.1) Im April 1957 gab die Deutsche Post Sonderbriefmarken zur IBA in Berlin heraus; links ihr Logo. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand, ob die Kongresshalle rechtzeitig fertig werden würde, wurde sie durch die Sonderbriefmarke deutschlandweit bekannt.
Gemeinsamer Wiederaufbau
Das Foto zeigt sogenannte Berliner Trümmerfrauen vor der Kongresshallen-Baustelle. Der Architekt Stubbins sprach in seiner Eröffnungsrede 1957 davon, dass die Kongresshalle nur durch die Zusammenarbeit Vieler „mit gutem Willen und Harmonie“ gebaut werden konnte.2) Heute wird zunehmend hinterfragt, wie „echt“, also realitätsnah, oder gestellt solche Aufnahmen sind.3) Das Foto vereint zwei wichtige Aspekte für die Authentisierung des Wiederaufbaus: den Mythos der Trümmerfrauen und des Neuanfangs.
Ikone der Freiheit
Hugh Stubbins, der Architekt des US-amerikanischen Beitrags zur IBA 57, entwickelte bei seinem Berlin Besuch 1955 die Idee eines Bauwerkes als Symbol der Freiheit, ein „strahlendes Leuchtfeuer, das nach Osten leuchtet“.4) Der Architekt und die Auftraggeber aus den USA, insbesondere die Berlin-Beauftragte Eleanor Dulles, schrieben der Kongresshalle die Bedeutung als Ikone der Freiheit zu, die sich auch architektonisch in der geschwungenen und schwerelos wirkenden Form ausdrücken sollte. Nahe der Grenze des sowjetischen Sektors lag sie auf einer künstlichen Anhöhe, um sie weithin bis nach Ost-Berlin sichtbar zu machen.
Symbol amerikanischer Überlegenheit
Auch im Inneren sollte die Kongresshalle US-amerikanische Modernität und technischen Fortschritt demonstrieren. Das ovale Auditorium im Obergeschoss, mit seinen in die Holzvertäfelung integrierten Kabinen für Dolmetscher und Rundfunk- und Fernsehreporter, wurde in Anlehnung an den Sitzungssaal der UN Generalversammlung in New York gestaltet. Im Gebäude befanden sich ein Sonderpostamt mit Fernsprechkabinen, ein Rundfunkstudio sowie eine Bildfunkanlage. Broschüren zeigten stolz das Innenleben und die technischen Finessen.
Im Zeichen deutsch-amerikanischer Freundschaft
Die Kongresshalle wurde auch als Sinnbild deutsch-amerikanischer Freundschaft verstanden. Geprägt wurde dieses Bild durch Gäste wie John F. Kennedy, Jimmy Carter und Henry Kissinger. Von diesen transatlantischen Beziehungen zeugten auch die weithin sichtbaren Flaggen Berlins, der Bundesrepublik Deutschland und den USA vor dem Gebäude.
Faszinierendes Fotomodel
Aufgrund ihrer ungewöhnlichen Architektur wurde die Halle zu einem beliebten Fotomotiv. Das auffällige, geschwungene Halbrund des Daches hat auch Anno Wilms, eine gebürtige Berliner Fotografin, inspiriert. In ihrer Nachtaufnahme inszeniert Wilms die Spiegelung des beleuchteten Dachs in dem angrenzenden Wasserbecken. Ein Effekt, den viele Fotograf:innen festhielten.
„Modell Kongresshalle, der große Schlager der Interbau“
Ein Hut in Form des Hallendaches wird der Dame – modebewusst im Stil des neuen, westlichen 1950er-Jahre-Looks mit Wespentaille – in der Karikatur angepriesen. Die Zeichnung karikiert die westliche Bürgerschicht: je extravaganter die Hüte und Architektur, desto schicker. In den Augen der belustigten Lokalpresse trägt die Dame das „Modell Kongresshalle“ auf dem Kopf. Den Berliner Volksmund inspirierte die Kongresshalle aufgrund ihrer Dachform zu einer Vielzahl von Spitznamen: „Dulleseum“5) , „Onkel Sams Zylinder“, „Babywaage“ und „Schwangere Auster“, der sich als der bekannteste durchgesetzt hat.
Verlust von Glanz und Gloria
Mit der Fertigstellung des ICC 1979 verlor die Kongresshalle für Großveranstaltungen an Bedeutung. Ein Jahr später stürzte plötzlich ein Teil des Daches ein; ein Journalist starb, mehrere Menschen wurden verletzt. Dieses Ereignis stellte das Fortbestehen der Kongresshalle in ihrer ursprünglichen Konstruktion ernsthaft infrage: Würde sie in Zukunft als Fehl-Bau oder weiterhin als wichtige kulturelle Einrichtung wahrgenommen werden?
Wieder ein Postkartenmotiv
Nach längerer Debatte über einen Abriss wurde die Kongresshalle wegen ihres Symbolcharakters bis zur 750-Jahr-Feier Berlins und zur IBA 1987 wiederaufgebaut. Das Foto zeugt davon, dass sie wieder zur touristischen Sehenswürdigkeit wurde. Denkmalschützer:innen und Konstrukteur:innen einigten sich auf eine „postkartengetreue Rekonstruktion“6) – mit einer weniger leichten Silhouette als das Original. Das „Zeichen deutsch-amerikanischer Verbundenheit“, wie der Berliner Senat die Kongresshalle bezeichnete,7) sollte bestehen bleiben. Nutzung und exakte Rekonstruktion waren zweitrangig.
Raum für Interpretationen
Anfang 1989 zog das Haus der Kulturen der Welt (HKW) ein, das sich ebenfalls als kulturpolitischer Ort verstand, als Zentrum für nicht-europäische Kulturen. Mit dem Fall der Mauer stand die Halle dann mitten im wiedervereinten Berlin. Gefördert u. a. vom Auswärtigen Amt initiierte das HKW zuletzt interdisziplinäre Langzeitprojekte, die sich mit postkolonialen Strukturen und ökologischen und technologischen Umbrüchen auseinandersetzten. Anstelle der Nationalflaggen wehten vor dem Haus seit 2020 goldene Fahnen, die eine „golden—glitzernde Rettungsdecke“ repräsentieren, das Symbol der Initiative „Die Vielen“, ein Zusammenschluss von Kulturschaffenden, die sich gegen Rechtspopulismus richtet. Seit dem 1. Januar 2023 ist Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung neuer Intendant des HKW, bis zur Eröffnung seines Programms im Juni 2023 wird das Gebäude instandgesetzt.
Autorinnen: Anna M. Weber, Sabrina Runge
Fußnoten
1): Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR (Hg.), in: Interbau Berlin. Wettstreit der Systeme, o. J., URL: https://www.internationale-bauausstellungen.de/geschichte/1957-interbau-berlin-wettstreit-der-systeme/.
2): Zitat Hugh A. Stubbins, in: Die Einweihung der Kongresshalle am 19. September 1957. Rede von Hugh A. Stubbins. 19.9.1957, URL: https://archiv.hkw.de/de/hkw/geschichte/erinnern/stubbins_dedication.php
3): Andrea Lueg, in: Trümmerfrauen. Den Kriegsschutt räumten andere weg. Deutschlandfunk, 8.1.2015, URL: https://www.deutschlandfunk.de/truemmerfrauen-den-kriegsschutt-raeumten-andere-weg-100.html.
4): Zitat Hugh A. Stubbins zitiert nach Helmut Engel: Die Geschichte des Ortes, in: Berlin baut 2, Die Kongreßhalle, 1987, URL: https://issuu.com/hkwberlin/docs/berlinbaut2_die_kongresshalle, S. 14.
5): ohne Angabe, in: Art: Stage for Freedom, Time, 30.9.1957, URL: https://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,891387,00.html.
6): Zitat Wolfgang Braatz, zitiert in: 50 Jahre Kongresshalle: Erinnern Sie sich, Haus der Kulturen der Welt, o. J., URL: https://archiv.hkw.de/de/hkw/geschichte/erinnern/start.php.
7): Constanze Wagner-Conzelmann, in: Unité d’habitation und die Kongresshalle, o. J., URL: https://hansaviertel.berlin/interbau-1957/unite_kongresshalle/.