Alter Markt | Potsdam
Potsdams historische Mitte
Wo befindet sich der Alte Markt?
In der Potsdamer Innenstadt, unweit der Havel und der Langen Brücke. Er gilt als ursprüngliches Zentrum.
Wofür ist er bekannt?
Er wurde im 18. Jahrhundert unter Friedrich II. nach italienischen Vorbildern umgestaltet Zu DDR-Zeiten wurde er nach sozialistischen Vorstellungen umgestaltet. Seit Beginn des 21. Jahrhundert werden die barocken Gebäude wieder rekonstruiert.
Wer nutzt den Alten Markt?
Der Landtag Brandenburg tagt im rekonstruierten Stadtschloss, Kulturinteressierte gehen in das Potsdam Museum oder in das Museum Barberini im gleichnamig rekonstruierten Palais.
Potsdams Gründung
Das Gelände des heutigen Alten Marktes liegt unmittelbar am Ufer der Havel, direkt am Flussübergang. Bebauungen lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Zum Schutz der Siedlung wurde im 13. Jahrhundert eine Burg unweit der heutigen Langen Brücke errichtet, aus der um 1530 eine Renaissanceburg wurde. Ende des 16. Jahrhunderts entstand erstmalig ein Schloss, der sogenannte Katharinenbau, errichtet für Kurfürst Joachim Friedrichs Frau Katharina. Solche Ursprungserzählungen authentisieren einen Ort, indem sie auf den baulichen Beginn der Stadtgeschichte abheben und den Ort dadurch als bedeutsam für die städtische Entwicklung markieren. Bildlich wurden diese Bauten nicht festgehalten. Das Bild zeigt stattdessen einen Rekonstruktionsversuch der Burg des 14. Jahrhunderts, der mittlerweile durch neuere archäologische Ausgrabungen widerlegt wurde.
Residenzstadt
1660 begann der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm Potsdam zur zweiten Residenz neben Berlin auszubauen. Er vergrößerte das Schloss und erweiterte es um einen Lustgarten. Der monarchische Repräsentationsbau des Stadtschloss wurde zum architektonischen Bezugspunkt Potsdams. Es war Ort der preußischen Herrschaft und definierte städtebaulich und symbolisch die „Mitte“ der Stadt. Nördlich des Alten Marktes entstanden mit der „ersten und zweiten barocken Stadterweiterung“ die städtischen Siedlungen, in denen Friedrich Wilhelm I. die Soldaten seines Heeres einquartierte.
Das „friderizianische“ Potsdam
Unter Friedrich II. erhielt der Markt Mitte des 18. Jahrhunderts seine Gestalt als römische Piazza im Stil des sogenannten friderizianischen Rokokos. Die am Alten Markt stehenden Bürgerhäuser wurden umgebaut und erhielten Fassaden nach europäischen, insbesondere italienischen Vorlagen. Diese Architektur bediente das monarchische Repräsentationsbedürfnis, insofern wurden das Schloss und der Alte Markt oft im königlichen Auftrag künstlerisch festgehalten. Anders als die vielen kurzlebigen Vorgängerbauten, wurde die friderizianische Bebauung bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg kaum verändert. Aufgrund dieser Beständigkeit und der vielfachen bildlichen Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert gilt die Platzgestaltung unter Friedrich II. vielen heute als das historisch authentische Vorbild des Alten Marktes.
Zerstörung 1945
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Innenstadt Potsdams stark zerstört. Die Ruinen der vollständig ausgebrannten Häuser am Alten Markt wurden in den frühen Nachkriegsjahren abgerissen, darunter auch der Palast Barberini. In einigen Fällen blieben die Fassaden jedoch erhalten. So stammen Teile der heutigen Fassade des Alten Rathauses aus dem 18. Jahrhundert. Der Potsdamer Fotograf Max Baur dokumentierte die Zerstörungen der Stadt. Seine Bilder setzten die Ruinen als Verlust architektonischer und kultureller Werte kunstvoll in Szene und prägen bis heute das städtische Bildgedächtnis. Zusammen mit Baurs Aufnahmen aus den 1930ern, sind diese Fotografien wichtige Bildquellen für die Vorstellung eines als authentisch geltenden Alten Marktes.
Sozialistische Bezirksstadt der DDR
Die SED argumentierte bereits 1949 für den Abriss des Stadtschlosses als „Überrest des preußischen Militarismus“. Bis Ende der 1950er Jahre war man in der DDR jedoch um den Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte unter Berücksichtigung des historischen Stadtgrundrisses bemüht und die Potsdamer Stadtplanungen sahen den Wiederaufbau aller zerstörten Gebäude am Alten Markt vor. Gleichwohl setzte mit dem Beschluss 1958 zur sozialistischen Umgestaltung und dem „beschleunigten“ Wiederaufbau der Stadtzentren die Überbauung des Alten Marktes zur sozialistischen Bezirksstadt ein. Die Ruine des Stadtschlosses wurde bis Juli 1960 abgetragen. In architektonischen „Zentrumswettbewerben“ wurde die Bedeutung des Platzes als städtebaulicher und repräsentativer Ort betont.
Eine Leerstelle als Platzhalter des Authentischen
Zu Beginn der 1970er Jahre entstanden nördlich des Alten Marktes mehrere Neubauten: die sogenannte Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek des Bezirkes, das Institut für Lehrerbildung „Rosa Luxemburg“ Potsdam (die spätere Fachhochschule) und das Gebäudeensemble des sogenannten Staudenhofes. Straßen und Gleise wurden verlegt, die teilweise über die ehemalige Schlossfläche verliefen. Diese Fläche blieb größtenteils brach, die architektonische Leerstelle hielt die Erinnerung an die einstige Bedeutung des Platzes wach. Genutzt wurde der leere Platz als Parkplatz, Weihnachtsmarkt und für öffentliche Feste.
„Behutsame“ Authentisierung des Platzes
1989, 10 Woche vor dem Fall der Mauer, hatten die Bauarbeiten an einem Theaterneubau begonnen, eine Überbauung des historischen Schlossgrundrisses. Im Oktober 1990 fasste die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung den bis heute maßgeblichen Beschluss über die „behutsame Wiederannäherung“ an das im Zweiten Weltkrieg und zu DDR-Zeiten „nachhaltig zerstört[e]“ Stadtbild. Fortan prägte die als authentisch charakterisierte historische Stadtgestaltung des 18. Jahrhunderts das Baugeschehen in der Innenstadt. Der Neubau des Theaters hätte die Rekonstruktion des Stadtschlosses an seinem ursprünglichen Standort verhindert. Die Stadtverordneten beschlossen den Abriss des Rohbaus, der bereits im Herbst 1991 wieder abgetragen wurde.
Fortuna als Platzhalterin
Ab 2001 bildete sich in der Stadtgesellschaft ein Authentizitätskonflikt über Gestaltung und Funktion des Alten Marktes heraus. Begleitet von hohem Medieninteresse, stritten Bürgerinitiativen, Vereine und Interessenvertretungen darüber, ob der Alte Markt nach „friderizianischem“ Vorbild wiedererrichtet oder ob die Umgestaltung des Platzes mit seinen Neubauten aus DDR-Zeiten erhalten bleiben sollte. Wichtiges Symbol für den Wiederaufbau des gesamten Stadtschlosses war die aus privaten Spenden finanzierte Errichtung einer Replik des einstigen „Fortunaportals“. Zudem setzten die Rekonstruktionsbefürworter den Grundriss des Schlosses als mächtigen Schatten oder mittels Blumenrabatten in Szene, um bauliche Konflikte aufzuzeigen und diese als störend für die Wiedergewinnung des Authentischen zu inszenieren.
Aus Schloss und Landtag wird Landtagsschloss
2005 beschloss der Brandenburgische Landtag, ein neues Plenargebäude auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses zu errichten. Die Auseinandersetzungen über das Für und Wider der Rekonstruktion des Schlosses beendete diese Entscheidung nicht. Doch mag die parlamentarische Nutzung des Hauses die Kritiker beschwichtigt haben. Während die Fassade historisch auftritt, befindet sich im Inneren ein modernes Regierungsgebäude. Denn schließlich entstand hier kein neues Schloss, sondern ein Chateau der Demokratie, worauf die Potsdamer Künstlerin Annette Paul mit ihrer Botschaft an der Westfassade des Neubaus sinnfällig hinweist.
„Preußifizierung“ oder „Stadt für alle“?
Seit den 2010er Jahren rückten die DDR-Bauten der 1970er Jahre in den Mittelpunkt der Authentizitätsdebatten um die Gestaltung rund um den Alten Markt. Brennpunkt der Auseinandersetzungen bildete insbesondere das seit 1991 von der Fachhochschule genutzte Gebäude. Im Zuge der Stadtschlossrekonstruktion wurde beschlossen, nördlich des Alten Marktes neue Quartiere nach barockem Vorbild zu errichten. Protest dagegen regte sich insbesondere unter den Studierenden, die den attraktiven innerstädtischen Schulort bewahren wollten. Mit der Losung „Stadt für Alle“ positionierte sich eine Initiative für den Erhalt des Schulgebäudes. In ihrem Sinne galt die Fachhochschule als authentisch, da diese ein offener Ort war, an dem die gesamte Stadt zusammenkommen könnte. Die vorwiegend privatfinanzierten Rekonstruktionsvorhaben wurden dagegen als elitär und ausgrenzend abgelehnt.
„FH-Sterne“ an neuem Ort
Die Debatte um den Abriss der Fachhochschule begleitete ein weiterer Authentizitätskonflikt. Das Gebäude aus den 1970er Jahren galt vielen als symbolischer Bau und Stellvertreter der DDR-Architektur, die im Zuge der baupolitischen Veränderungen seit 1989/90 aus dem Stadtbild verschwunden war. Die Forderung nach dem Erhalt dieser Bausubstanz aus der DDR geht oftmals einher mit individuellen Lebenserinnerungen, die Orte und Gebäude authentisch aufladen können. Zu einem Zeichen des Protestes wurde die einstige Fassadengestaltung der Fachhochschule. Die als Waben oder Sterne bezeichneten Schmuckelemente aus Aluminium sind nach dem Abriss im Stadtraum verteilt wurden, zieren Hauswände und wurden als Kunstwerk nachgestaltet.
Autorin: Sabrina Runge